Von Waldmistkäfern, Tanzlessons in VR und Kugelfischen in AR, noch nicht barrierefreien Digitalzugängen und dem Besuch des Kultursenators – das war die re:publica 2023 für kulturBdigital.
Aufregend waren sie, die drei Festivaltage der re:publica Berlin vom 5.-7.6.2023. Auch in diesem Jahr lud Europas größte Digitalkonferenz wieder dazu ein, Ideen zu zentralen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft zu wälzen sowie Hands-On-Lösungen zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Mit dabei: Findige Köpfe aus Zivilgesellschaft & Politik, Bildung & Medien, Technik & Wissenschaft – und natürlich auch aus Kunst & Kultur!
Als Partnerin der re:publica hat die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt mit dem kulturBdigital-Team der Technologiestiftung Berlin verschiedenen Kulturakteur:innen aus Berlin eine Plattform geboten: Mit zahlreichen Showcases und Gesprächen am Stand, Impulsvorträgen im Berlin Labor sowie in Beiträgen auf den großen und kleinen re:publica-Bühnen.
In den Fokus des (Stand)programms rückten wir drei Hauptthemen, die uns die Kulturszene im Rahmen von Veranstaltungen und Bedarfserfassungen sowie über unseren Call for Participation immer wieder gespiegelt hat:
Wie baut man ein digitales Kulturangebot auf – und entwickelt es nachhaltig weiter?
Ein Ziel war es, über Beispielprojekte vielschichtige Einblicke in die Strategien zu geben, die hinter neuen digitalen Programmsträngen in den Berliner Kultureinrichtungen stecken. Zu Gast am Stand war hierzu unter anderem das Theater HAU Hebbel am Ufer, das mit einer Werkschau einen Schulterblick auf den Aufbau ihrer digitalen HAU4-Bühne geworfen hat.
Tereza Hazlikova und Katharina von Hagenow zeigten mit Prater Digital einen virtuellen Zwilling der Galerie Prater in der Berliner Kastanienallee. Während der Renovierungsphase des analogen Vorbilds und dazu noch mitten in der Pandemie entstanden, eröffnen die digitalen Räume des Prater Digital zahlreiche Möglichkeiten für neue Vermittlungs-, Residenz- und Ausstellungsformate – und werfen zugleich Fragen rund um die Langzeitvorhaltung und Bewahrung digitaler, netzbasierter Kunst auf.
Herausforderungen rund um die Langzeitverfügbarmachung digitalisierten Kulturguts vertieften wir auch mit Gastbeiträgen im Berlin Labor: Prof. Thorsten Koch von digiS stellte in seinem Kurzimpuls zur Debatte, wie unsere Gesellschaft eigentlich darüber entscheidet, welche Kulturgüter bewahrenswert sind. Inwieweit Künstliche Intelligenz dabei helfen kann, große Bestände an Zeitzeug:inneninterviews einfacher zu erschließen, reflektierte Sebastian Ruff kritisch auf Grundlage eines Modellprojekts des Stadtmuseums Berlin: Automatisierte Verfahren – z.B. zur Transkription und Verschlagwortung der Videosammlungen des Museums – versprechen eine enorme Arbeitserleichterung und Ressourceneinsparung. Wie viel menschliche Moderation ist dabei aber nötig? Für Ruff ist die Aneignung von KI-gestützten Verfahren durch Kultureinrichtungen eng gekoppelt an Fragen des eigenen Rollen- und Verantwortungsverständnisses: Angefangen bei der Definition von Datenqualität, über eingesetzte Kontrollmechanismen bis hin zu Ansätzen zur Kennzeichnung von KI-generierten Informationen.
Berlin Labor
Auf der gemeinsamen Vortragsfläche präsentierten die Senatskanzlei und die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt ergänzend zum Standprogramm zahlreiche Projekte zu Smart City-Themen, Open Data sowie Digitalität in der Kultur. Mit dabei: Unsere Kolleg:innen vom CityLAB, das kulturBdigital Team und zahlreiche Weggefährt:innen aus der Kulturszene.
Dass Datenverarbeitung selbst zum Gegenstand künstlerischer Betrachtung werden kann, demonstrierte zudem Susanne Schuster von OutOfTheBox: Im Fokus ihrer aktuellen Arbeit “In Ghosts We Trust” steht das Phänomen Ghost Work – meist prekär beschäftigte Menschen, die im Hintergrund zahlreicher Online-Services arbeiten und für oder ergänzend zu Algorithmen oft repetitiv und fließbandartig Arbeiten wie das Labeln, Sortieren oder schnelle Bewerten von Content vollführen.
Geräte erneuern, Arbeitsprozesse digitalisieren, neue Tools und Equipment etablieren: Die Ertüchtigung der digitalen Infrastrukturen, die sich hinter den Kulissen vieler Kulturinstitutionen vollzieht, ist in vielerlei Hinsicht ressourcenintensiv. Über die Annäherung zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung sprachen Daniela Scheid und Lisa-Marie Hobusch beim Lightning Talk „Von Mailfluten & Textbuchbergen“ am Beispiel der Schaubühne Berlin. Ihren Beitrag findet ihr auf Youtube zum Nachschauen:
Sharing is caring – auch in der Kunst?
Schwerpunkt der re:publica in diesem Jahr: CASH, die Zukunft des Geldes. Mit Blick auf den NFT-Hype der letzten Jahre forderte unser Vorstandsvorsitzender der Technologiestiftung Berlin, Nicolas Zimmer, in seinem Lightning Talk zu Kultur & Crypto eine genossenschaftlich organisierte Plattform von Kulturschaffenden, um eine mögliche alternative Finanzierungsquelle zur Spekulationsblase NFTs zu bieten.
Viele Projekte aus dem Berliner Kulturbereich explorieren schon länger Ansätze des Teilens von Ressourcen, Wissen und Service-Infrastrukturen. Im Rahmen der re:publica wollten wir einige dieser Initiativen sichtbar machen: An unserem Stand präsentierten Irina Shutova und Warja Rybakova Auszüge aus der Arbeit „Copy Catch Match“, die es erlaubt, mit einem KI-gestützten Avatar in Virtual Reality zu tanzen. Entstanden ist sie im Rahmen des DOCKdigital Labor. Das Lab widmet sich der Schnittstelle von Tanz, Technologie und Körper, ist interdisziplinär besetzt und mit Equipment wie z.B. Motion Capture Suits, Virtual Reality- und Augmented Reality-Brillen ausgestattet. Ziel von DOCKdigital ist es, ein permanent finanziertes Labor aufzubauen, das möglichst vielen Künstler:innen den Zugang zu oft kostenintensiven digitalen Ressourcen und auch Know-how ermöglicht.
Lasse Marburg, Philip Steimel und Elisa Haubert sowie Georg Werner und Markus Schubert stellten jeweils Open Source-Projekte vor, die auf eine breite Nachnutzung angelegt sind: Entstanden sind offene Frameworks zur Umsetzung digitaler Theater Games, zur gemeinsamen Verwaltung von Equipment in Künstler:innen-Gruppen (Machina Commons) sowie zum Verzahnen von Videoplayern in Multimedia-Performances (ZusammenPlayer). Wolfgang Roese (ORSO) beleuchtete den Entstehungsprozess seines in Eigenregie geschaffenen Orchestermanagement-Systems ARPA 2.0. Dabei skizzierte er, was es heißt, die oft aus individuellen künstlerischen Bedarfen heraus entstandenen Anwendungen in skalier- und adaptierbare Formen zu überführen.
Den Gedanken einer Infrastruktur-Blaupause, bei der im Rahmen von Software-Projekten gesammelte Erfahrungen auch für andere Kulturakteur:innen nutzbar gemacht werden, griff auch André Kraft (Komische Oper) in seiner Vorstellung der Classic Card App auf: 2022 haben zehn Berliner Kulturinstitutionen gemeinsam die ClassicCard App entwickelt. Mussten sich zuvor junge Klassik-Fans auf der Suche nach speziellen U30-Rabatten durch verschiedene Buchungssysteme und Bezahlmodi klicken, bietet nun eine App alle Events mit ClassicCard-Konditionen auf einen Blick. Hierfür ist hinter den Kulissen viel passiert: Entstanden ist eine neue digitale Infrastruktur, die Schnittstellen zu den gängigsten Ticketingsystemen, die bei den unterschiedlichen Kultureinrichtungen im Einsatz sind, bietet. Auf diese Weise ist die App ein Testballon für weitere Institutionen der Berliner Kulturlandschaft, die gemeinsam neue digitale Services rund um die Besuchsplanung schaffen wollen.
Barrierefreiheit – wie gelingt mehr Teilhabe?
Welche Potentiale stecken in digitalen Technologien für die Teilhabe am kulturellen Leben? Digitale Angebote werden oft dann genannt, wenn es darum geht, dass neues Publikum bzw. jüngere Zielgruppen erschlossen werden sollen. Während der re:publica luden wir Kulturakteur:innen dazu ein, sich anhand des Beispiels Barrierefreiheit mit dieser Prämisse auseinanderzusetzen.
Tina Schneider vom Museum für Naturkunde Berlin präsentierte ein handfestes Beispiel dazu, wie digitalisierte Sammlungen einen unmittelbaren Nutzen für Menschen mit Behinderungen schaffen können: Das Museum hat ein digitales 3D-Modell eines Waldmistkäfers in ein interaktives und barrierearmes Tastmodell verwandelt. Berührt man das 40 cm lange und mit Sensoren ausgestatte Käfermodell, erhält man via Kopfhörer Infos zur berührten Stelle.
Für viele Künstler:innen sind Plattformen wie VR-Chat großartige Spielwiesen mit unendlich scheinenden Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig schließen diese Umgebungen viele Menschen durch unterschiedliche technische und soziale Gegebenheiten wieder aus. Katharina Haverich und Roman Miletich stellten in ihrem Werkstattgespräch zum Projekt “Set the Stage“ die Frage danach, welche Standards es zum Abbau von Barrieren in virtuellen Welten geben muss: Was im analogen Produzieren das Umdefinieren von physischen Räumen und Materialien bedeuten würde, kann in digitalen Räumen flexibel skaliert werden. Es gelte also nun, Best Practices rund um die Funktionsweisen von Interfaces, das Setting virtueller Räume aber auch darin praktizierte Interaktionsformen zu entwickeln. Ziel des Projekts: Ein virtuelles Template für inklusives Arbeiten in Virtual Reality.
Dass Zugang und Teilhabe für alle Menschen möglich sein sollen, gehört zumindest theoretisch zum Selbstverständnis (fast) aller Kulturakteur:innen – und ist seit vielen Jahren auch gesetzlich verankert. Dennoch sind die Serviceketten vor, während und nach Kulturerlebnissen in Sachen Barrierefreiheit längst nicht ohne Lücken. In unserer Podiumsdiskussion “Umsetzen statt Aussitzen – Wie bekommt die (digitale) Kultur Schwung ins Thema Barrierefreiheit?” diskutierte Moderatorin Amy Iman Zayed gemeinsam mit Berliner Kulturakteur:innen strukturelle Probleme, die auch durch assistive Technologien oder die nächste App nicht gelöst werden. Mit dabei: Helge Rehders (Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt), Eva-Katharina Jost (Berliner Spielplan Audiodeskription), Andreas Krüger (Berlinische Galerie) und Noa Winter (Making a Difference).
Wir bedanken uns bei allen Vortragenden, Mitdiskutierenden und interessierten Gesprächspartner:innen für drei impulsgeladene re:publica-Tage und freuen uns schon auf unsere eigene kulturBdigital-Konferenz am 18. Oktober 2023, wo wir viele der aufgegriffenen Themen weiter vertiefen werden!