Wie können wir die Zukunft gestalten und dabei möglichst die ganze Gesellschaft im Blick haben? Auf der kulturBdigital-Konferenz 2024 stellte Designerin und Accessibility-Expertin Jolanta Paliszewska das Oktokit vor. Das Tool hilft dabei, bedürfnisorientierte Angebote zu entwickeln.
Design for all, also Gestaltung für alle: Das ist der Gegenentwurf zur gängigen Praxis, Produkte oder Dienstleistungen erst im Nachhinein auf Barrierefreiheit zu trimmen. In ihrem Workshop stellte Designerin und Accessibility-Expertin Jolanta Paliszewska die wichtigsten Aspekte des Design-Prinzips und einige Grundannahmen zum Thema Zugänglichkeit vor. Was wir mitgenommen haben:
- Der Begriff „Barrierefreiheit“ bezieht sich auf die Beseitigung von Hindernissen für Menschen mit Behinderung. Paliszewska bevorzugt den Begriff „Zugänglichkeit“ (engl. „accessibility“), da er sich lösungsorientiert auf die Bedürfnisse aller Menschen bezieht.
- Die Zugänglichkeit von Produkten, Angeboten oder öffentlicher Infrastruktur kann situativ, temporär oder permanent eingeschränkt sein. Von temporären oder situativen Einschränkungen sind alle Menschen von Zeit zu Zeit betroffen. Ein Beispiel: Angebote, die sich auf eine verminderte Hörfähigkeit beziehen, helfen nicht nur gehörlosen Menschen, sondern auch Menschen mit einer Mittelohrentzündung (temporär) oder einer lauten Baustelle vor dem Haus (situativ)
- Hier setzt das “Design for all” mit dem Motto “Necessary for some, good for everybody” an: Jede Maßnahme, die ein Produkt oder eine Dienstleistung zugänglicher für Menschen mit Behinderungen macht, bringt demnach automatisch auch Vorteile für viele weitere Menschen mit sich.
Um ein Kulturangebot nach diesen Prinzipien zu planen, ist die Arbeit mit Expert:innen mit Behinderungen und weiteren Fokusgruppen die erste Wahl. Kleineren Institutionen fehlen dafür oft Ressourcen.
Das Oktokit
Mit dem Oktokit hat Jolanta Paliszewska ein Tool entwickelt, das helfen kann, eine diverse Palette an Bedürfnissen in die Entwicklung eines Angebots einzubeziehen – auch ohne Expert:innen in eigener Sache.
Der Name bezieht sich auf acht Bedürfnisebenen von Zugänglichkeit, die die Designerin identifiziert hat: Hören, Sehen, Verstehen, Kommunikation, Fortbewegen, Ängste, Stressoren und Partizipation.
Die Arbeit mit dem Oktokit teilt sich auf in eine Antizipationsphase, bei der auf ein Angebot bezogene Bedürfnisse und Hürden ermittelt werden und eine Phase der Lösungssuche. Im Workshop durchleuchteten die Teilnehmer:innen Notrufsäulen, Videocalls, Online-Programmhefte und Museumsangebote auf ihre Zugänglichkeit. Die Ergebnisse waren dabei oft ernüchternd – ein Zeichen dafür, dass der bedürfnisorientierte Ansatz des Oktokits viele bisher unbemerkte Defizite aufdecken kann.
Das Oktokit befindet sich noch in einer Erprobungsphase und ist noch nicht öffentlich verfügbar. Wer Interesse daran hat, kann sich aber bei Jolanta Paliszewska melden und wird dann über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten.
Text: Thorsten Baulig