Onlinearbeit, Robotisierung, Algorithmisierung: In vielen Branchen ist der digitale Wandel längst im Gange. Und im Kulturbereich? Die Diskussion mit Sabrina Apitz und Danilo Vetter zum Nachlesen und Nachschauen:
Wie unsere Informationsveranstaltung zum Thema „Digital Mindset“ im Kreuzberger aquarium zeigte, hinkt der Kulturbetrieb dieser Entwicklung noch teilweise weit hinterher. Während anderswo schon moderne Kommunikations-Tools und Datenmanagementsysteme zum Einsatz kommen, arbeiten kulturelle Institutionen – von städtischen Theatern bis zu alternativen Veranstaltungshäusern – oftmals noch immer analog.
Wie die Vorträge von Sabrina Apitz (Kulturprojekte GmbH, EGfKA/Berliner Gazette) und Danilo Vetter (Stadtbibliothek Pankow) verdeutlichten, liegt dies zum einen an einem akuten Mangel an finanziellen Mitteln und geeigneter Software. Zum anderen aber auch an einem fehlenden „Digital Mindset“ in Kollaborationen, Netzwerken und Institutionen. Dabei sind es nicht nur Angestellte und Freelancer, die sich nur langsam daran gewöhnen, das Digitale in der alltäglichen Arbeit in Kunst- und Kulturbereich mitzudenken, sondern – so sind sich die meisten Teilnehmer*innen der Veranstaltung einig – oft auch die Chefetagen, denen es an einem Bewusstsein für die Notwendigkeit neuer und agilerer Arbeitsprozesse mangelt.
Viel Bedarf gibt es innerhalb des Kulturbetriebs deshalb vor allem in Hinblick auf Fortbildungen zum Thema Digitalisierung, mehr Vernetzung untereinander und neue und finanzierbare Programme zur Datenverarbeitung.
- Wie kann ein kleines Theater ein einfaches digitales Abrechnungssystem aufbauen?
- Welche Software lässt sich am besten nutzen, um Theateraufführungen zu archivieren?
- Und wie lässt sich in allen diesen Fragen der Datenschutz mitdenken?
Diese und andere Fragen beschäftigen die Berliner Kulturschaffenden quer durch die Bank – und pragmatische und kostengünstige Lösungen sind bisher nur schwer zu finden. Umso mehr Hoffnung setzen die Beteiligten u.a. in die Pläne der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, deren Förderprogramm ab 2020 die nötigen Mittel für die Digitalisierung des Kulturbereichs bereitstellen soll.
Sabrina Apritz: „Warum digitaler Kulturwandel?“
Mit welchen digitalen Hilfsmitteln lassen sich Arbeitsprozesse in Zukunft verbessern? Wie beeinflusst die Technik unsere Kommunikation? Und was bedeutet die Digitalisierung für den Kunst- und Kulturbereich? Mit diesen und ähnlichen Fragen setzt sich Sabrina Apitz schon seit geraumer Zeit auseinander: früher als freiberufliche Projektmanagerin und Kuratorin, heute als Koordinatorin des Kulturförderpunkts der Kulturprojekte GmbH des Landes Berlin. In ihrem Vortrag geht es dementsprechend vor allem darum, wie sich „Offline“- und „Online-Arbeit“ besser verzahnen lassen und inwiefern ein „Digital Mindset“ der Mitarbeiter*innen eine Grundvoraussetzung dafür sein kann.
Das Digital Mindset versteht Apitz dabei als eine Kombination mehrerer Grundhaltungen, unter anderem einer Neugier für digitale Entwicklungen, einer gewissen Toleranz und Akzeptanz gegenüber ohnehin unvermeidbaren technologischen Innovationen und einer natürlichen Offenheit für prozessorientiertes Arbeiten. Es geht an dieser Stelle also weniger um konkrete Fähigkeiten als um eine Denkweise, die den Nährboden für die Digitalisierung am Arbeitsplatz bereitstellen kann. „Um digitale Impulse zu setzen, braucht es kein Skillset, sondern ein Mindset“, so Apitz.
Die Frage, warum Institutionen sich überhaupt mit einem „digitalen Kulturwandel“ beschäftigen sollten, beantwortet Apitz derweil mit einem Verweis auf die potenziellen Vorteile digitaler Hilfsmittel. Diese können mehr Autonomie und Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen schaffen, für mehr Transparenz innerhalb von Organisationen sorgen und diesen eine bessere Innen- und Außenkommunikation ermöglichen. Als Beispiel für letzteres nennt Apitz etwa die digitale Weiterverbreitung von Audio- und Film-Mitschnitten von Aufführungen, Ausstellungen oder anderen Performances, mit Plattformen wie SPECTYOU, die Zugänglichkeit einzelner Kunstsparten bereits nachhaltig revolutioniert haben.
Klar ist für Apitz aber auch, dass ein digitaler Kulturwandel sowohl Arbeitnehmer*innen als auch Führungsetagen richtig vermittelt werden muss. Oft mangelt es an der richtigen Kommunikation, etwa dann, wenn nicht das gesamte Team von Anfang an in den Veränderungsprozess eingeschlossen wird, zu viele Digitalisierungsschritte auf einmal umgesetzt werden sollen oder Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind. Laut Apitz ist „Kommunikation deshalb die Voraussetzung dafür, dass die Leute am Arbeitsplatz sich abgeholt fühlen“. Um digitale Anwendungen in der Kommunikation, im Management und der Verwaltung effektiv umzusetzen, ist es dementsprechend von zentraler Bedeutung frühzeitig ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Wandels zu schaffen, klare Verantwortlichkeiten einzuteilen, Hindernisse zu identifizieren und kurzfristige Erfolge sichtbar zu machen.
Danilo Vetter: Digitaler Wandel des Bibliotheksbetriebs
Als Leiter der öffentlichen Bibliotheken des Berliner Bezirks Pankow gestaltet Danilo Vetter die Digitalisierung des Bibliothekbetriebs maßgeblich mit. Nicht zuletzt deshalb beschäftigt er sich in seinem Vortrag primär damit, wie digitaler Wandel im Kulturbereich – und insbesondere im Bibliothekswesen – praktisch umgesetzt werden kann.
Zu Beginn stellt Vetter fest, dass der digitale Wandel im Allgemeinen immer schneller voranschreitet: „2007 tauchten hierzulande die ersten Smartphones auf. Heute, zwölf Jahre später, besitzen bereits 81 Prozent der über 14-Jährigen ein solches Gerät!“ Ähnlich rapide ist die Entwicklung in Hinblick auf die öffentlichen Bibliotheken gewesen. Durch die Entstehung großer Online-Plattformen wie YouTube, Spotify und Netflix haben sie ihr Alleinstellungsmerkmal verloren und sind längst nicht mehr die einzigen Institutionen, die Ausleih- und Archivierungsaufgaben übernehmen können. Zudem haben die Bibliotheken laut Vetter „spätestens mit der Gründung von Wikipedia auch ihr Wissensmonopol verloren“.
Wenn GoogleBooks Buchbestände digitalisiert, auf YouTube pro Stunde 400 Stunden Videomaterial hochgeladen werden und Amazon mittels Kindle den Buchverleih erobert, dann müssen sich die Bibliotheken fragen, welche Rolle für sie noch übrig bleibt. Wie können sie sich im digitalen Raum behaupten? In dieser Frage verweist Vetter zum einen auf die bereits geleistete Modernisierung im Bibliothekswesen: die Einführung von Online-Katalogen, Lieferservices, Selbstverbuchungs-Programmen, Online-Bezahlmodellen und digitalen Serviceangeboten wie dem Musikdienst „freegal“ dem Filmportal „filmfriend“ und der Kinderbuch-App „tigerbooks“. Zum anderen führt er die Kurt-Tucholsky-Bibliothek im Bötzowkiez als Paradebeispiel für einen gelungenen Transformationsprozess an.
Bei diesem Projekt war laut Vetter, der bei der Modernisierung der Bibliothek federführend gewesen ist, vor allem die Erkenntnis hilfreich, dass „die Gemeinschaft der Menschen, die das Umfeld der Bibliotheken nutzen, im digitalen Zeitalter wichtiger ist als der eigentliche Bibliotheksbestand“.
Neben diesem Credo haben sich im Zuge der Modernisierung vier weitere wichtige Leitprinzipen bewährt:
- Öffentliche Bibliotheken müssen als Ort und nicht nur als Entleihstation interessant sein.
- Es muss um Partizipation statt Fachexpertise gehen.
- Man sollte die Gäste als Pro- und nicht als Konsument*innen verstehen.
- Und zunehmend Lizenzen statt haptischer Medien vergeben.
Bei der digitalen Transformation der Kurt-Tucholsky-Bibliothek haben sich laut Vetter zudem auch Leitlinien wie Trial-and-Error statt Perfektion, Kommunikation statt Ausschluss und agile Arbeitsprozesse statt hierarchische Organisation bewährt. Die Grundsatzfrage „Wo fühlen sich die Menschen wohl?“ stand zudem immer im Zentrum der Arbeit. Die Benutzerinnenbedürfnisse waren die Grundlage für die angestrebten Veränderungen – und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Anwohner*innen wurden mit ins Boot geholt.
Angebote wie eine Gaming-Ecke mit Playstation, ein Coding-Workshop, ein Kinobereich, ein Gemeinschaftsareal und eine „Bibliothek der Dinge“ wurden allesamt im Dialog mit den Nutzerinnen entworfen. Nicht zuletzt deshalb haben sich die Besucherinnenzahlen der Kurt-Tucholsky-Bibliothek bis heute fast verdoppelt, so Vetter.
Diskussion
Integrierte Software-Lösungen für effektivere Arbeit?
In den direkt an die Vorträge anschließenden Diskussionsrunden bekamen die Zuhörerinnen eine Gelegenheit, ihre Nachfragen zu stellen und eigene Erfahrungen zum Thema Digitalisierung im Kulturbereich und „Digital Mindset“ einzubringen. Beide Gruppen sind dabei äußerst divers: Dramaturginnen, Designerinnen, Senatsmitarbeiterinnen, Eventmanagerinnen, Pädagoginnen und viele andere Kulturschaffende sind vertreten.
In der Runde von Sabrina Apitz ging es vor allem um die Frage, wie digitale Hilfsmittel die Kommunikation und Organisation innerhalb von Unternehmen und Vereinen verbessern können. Mehrere Teilnehmer*innen berichteten von veralteten Strukturen und einem zerstückelten Projektmanagement, das auf verschiedenen Tools wie Dropbox, GoogleDrive und Skype beruht, aber nicht gut integriert ist. Einige interessierten sich auch für konkrete Programme zur Datenverarbeitung und Abrechnung – etwa für den Gastronomiebereich oder die Personalverwaltung am Theater. Zudem waren sich alle einig, dass die Digitalisierung im Kulturbetrieb oftmals gerade an den Chefetagen scheitert, die jegliches „Digital Mindset“ vermissen lassen und oftmals noch sehr „analog“ denken, oder dem Bereich „Online“ zu wenig Wichtigkeit und/oder Ressourcen beimessen.
Sabrina Apitz hält es in all diesen Fragen für notwendig, die richtigen Prozesse für den digitalen Wandel zu finden. „Die Chefs kann man ja nicht links liegen lassen und deshalb geht es vor allem darum, Mitstreiter*innen zu finden und hartnäckig zu bleiben“, sagte sie. Schade ist derweil, dass viele der bekannten Projektmanagement-Tools wie yesplan, KOKOS.event und theasoft, die sich für den Kulturbetrieb eignen, weiterhin teils ausgesprochen teuer sind und immer noch viel zu selten die spezifischen Bedürfnisse einzelner Sparten abdecken. Bevor es hier keine breitangelegte Initiative gibt, können laut Apitz wohl weiterhin nur Kombinationen von digitalen Anwendungen Abhilfe schaffen.
Transformation und öffentliche Verwaltung – ein Gegensatzpaar?
In der Runde von Danilo Vetter ging es derweil vor allem um den Unterschied zwischen digitalen Transformationsprozessen innerhalb von freien Kollaborationen und in der Verwaltung. „Im öffentlichen Dienst gibt es natürlich viel mehr Barrieren, aber auch hier ist Veränderung möglich“, sagte Vetter dazu. Er glaubt, dass partizipative Methoden und Kooperationen mit Expertinnen sowohl im öffentlichen Dienst als auch im Privatsektor wegweisend sein können, es aber auch wichtig ist, die „Stakeholder“ mit in den digitalen Wandel einzubeziehen. Im Bibliotheksbereich ist es gerade die Kritik von ehemaligen Nutzer*innen und Nichtnutzer*innen, aus der viele gute Ideen hervorgegangen sind.
Vetter hielt zudem fest, dass Veränderungen am Arbeitsplatz und digitale Innovationen immer auf Opposition treffen werden, egal ob im Privatsektor oder im öffentlichen Dienst: „Es gibt immer rund 15 Prozent der Mitarbeiterinnen, die Veränderungen skeptisch sehen. Mir geht es aber vielmehr darum, die Mitte zu verschieben, anstatt meine Zeit mit den Nörglerinnen zu verschwenden.“ Auf die Nachfrage, ob man sich also über die Gegenwehr einiger Kolleginnen hinwegsetzen müsse, antwortete Vetter: „Schock und Widerstand sind ganz normal, aber man kann die Mitarbeiterinnen auch ganz langsam an neue Prozesse gewöhnen.“ Will man etwa ein Management-Tool wie den Online-Dienst „Trello“ am Arbeitsplatz einführen oder einen Kommunikationskanal wie Instagram nutzen, dann könne es sich lohnen, zuerst „Verbündete“ dafür zu gewinnen und den Rest der Mitarbeiterinnen ganz langsam mit ins Boot zu holen. Zu bedenken sei außerdem, dass selbst die meisten „Verweiger*innen“ im Privaten schon digital unterwegs seien – ob mit Smartphone, Netflix oder anderen Diensten. „Der Arbeitsplatz sollte also keine Ausnahme bleiben, wenn es darum geht, sich mit neuen Technologien vertraut zu machen“, so Vetter.
Eine Veranstaltung der Technologiestiftung Berlin im Rahmen des kulturBdigital Labs in Kooperation mit dem Performing Arts Programm des LAFT Berlin.
Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Mit freundlicher Unterstützung des Performing Arts Festival Berlin.