Wie „funktioniert“ Wikipedia? Wie können Kulturschaffende die Enzyklopädie für sich nutzen? Einen Überblick gibt es im Bericht zum Workshop im August 2019.
Antworten auf diese Fragen gaben die Wikimedia-Mitarbeiter*innen Jan Apel, Andrea Knabe-Schönemann (Wikidata), Sandra Becker (Wikipedia) und Martin Rulsch (Wikimedia Commons) im Rahmen der World-Café-Veranstaltung im kulturBdigital Lab.
Die Ziele von Wikimedia
“Sich eine Welt vorzustellen, in der alles Wissen für alle frei zugänglich ist, das ist das Ziel, wofür wir kämpfen“, so Jan Apel von Wikimedia Deutschland, der Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e. V. Die 2004 an der TU Berlin gegründete Wikimedia Deutschland ist eine von 40 Ländervertretungen des Wikimedia-Verbundes, der seit 2003 Wikipedia und ihre Schwesterprojekte betreibt. Der spendenfinanzierte Verein hat in Deutschland 70.000 Mitglieder und 130 Mitarbeitende in der Berliner Geschäftsstelle. Als Vision beschreibt der Verein eine Welt, in der alle Menschen am Wissen der Menschheit teilhaben, es nutzen und mehren können.
Dazu gehört, dass die Schätze in den Kulturinstitutionen wie Museen und Bibliotheken für alle digital zugänglich sein sollten, betont Jan Apel. Doch Freies Wissen sei noch nicht selbstverständlich. Um die Vielfalt des Wissens der Menschheit für alle sichtbar zu machen, sind Strukturen nötig. 2030 will Wikimedia das weltweite Fundament im Ökosystem des Freien Wissens sein. „Wikimedia ist als Wikiversum nicht zentrale Plattform, sondern will Netzwerk sein“, sagt Apel. Dabei werden zwei Ziele besonders wichtig sein.
Einerseits sei das Wissen als Dienst (Knowledge as a service). „Wir wollen die Infrastruktur aufbauen, nicht nur, um uns selber zu ermöglichen, Wissen zu verteilen, sondern auch Partnerorganisationen“. Als zweites geht es dabei um die Wissensgerechtigkeit für alle (Knowledge equity), „jenseits von Hürden, seien es geografische Hürden, politische oder auch persönliche Hürden“. Eine besondere Aufgabe für die Wikimedia Deutschland ist das Spendensammeln. Die Nutzer*innen in Deutschland sind spendenfreudig, stellt Jan Apel fest. Sie ermöglichen damit den weltweiten Aufbau von Strukturen für die Projekte.
Der Wikimedia-Verein erstellt keine Inhalte, sondern fördert diese, arbeitet dafür in drei Feldern. Zur Umsetzung der Vision sei es nötig, Menschen für die Teilhabe an den Projekten zu gewinnen, sie zu unterstützen, um sich „miteinander unter dem Schirm unserer Mission zu verbinden“. Motto: Erkenntnis kommt durch Teilen. Im Technologiebereich gehe es um die Entwicklung von Software und zum Dritten müssen die zivilgesellschaftlichen, politischen und juristischen Rahmenbedingungen entwickelt werden.
Für die unterschiedlichen Aufgaben der ehrenamtlichen Wikimedia-Projekte wurden ganz unterschiedliche Formate entwickelt. Beispiele sind der weltgrößte Fotowettbewerb „Wiki Loves Monuments“, bei dem Freiwillige Bau- und Kulturdenkmäler fotografieren. „GLAM on Tour“ zielt darauf ab, Kulturgüter digital nutzbar zu machen, indem Museen und Bibliotheken sich für Freiwillige der Wikimedia-Projekte öffnen.
Projekt Wikipedia
In der freien Enzyklopädie Wikipedia gibt es aktuell 50 Millionen Artikel in etwa 300 Sprachen, täglich kommen 10.000 neue Artikel dazu. Ziel ist es, eine Enzyklopädie in allen Sprachen der Welt zu schaffen. Aktuell gehört Wikipedia zu den Top-5-Websites der Welt. Die deutschsprachige Version (Deutschland, Österreich, Schweiz u. a.) wird monatlich rund 1 Milliarde Mal aufgerufen. Wikipedia lebt von den ehrenamtlichen Autor*innen. Jeder/jede kann mitmachen, auch ohne Anmeldung. Sich einen Account mit einer E-Mailadresse einzurichten, wird jedoch empfohlen. Die sollte jedoch aus Anonymisierungs- und Datenschutzgründen nicht den realen Namen beinhalten. Für Kultureinrichtungen sei es empfehlenswert, über die Wikimedia-Seite einen authentifizierten Account anzulegen, rät Sandra Becker. Damit sei ein höheres Maß an Vertrauenswürdigkeit gegeben.
Für den Anfang ist es sinnvoll, zunächst kleinere Bearbeitungen (Rechtschreibkorrekturen etc.) vorzunehmen. Änderungen von neuen Nutzer*innen werden erst nach einer Mindestanzahl von Edits direkt freigeschaltet, andere müssen durch erfahrene Aktive erst freigeschaltet werden. Zum Erstellen eigener Artikel empfiehlt Sandra Becker, eine persönliche Benutzerseite anzulegen, auf der der Artikel erstellt wird. Nachdem er inhaltlich stimmig und durch Quellen belegt ist, kann er dann vom Benutzerkonto in die Wikipedia verschoben werden. Eine wichtige Frage ist die nach der Unabhängigkeit und Robustheit der Artikel. Dafür sorgen die Belegpflicht und die Wiki-Community. Es sind die Menschen, die Vandalismus, Falschaussagen, unrichtige Informationen und Fake Accounts innerhalb kurzer Zeit entdecken und korrigieren, so Becker. Auch lassen sich Seiten gegen Bearbeitungen schützen und sogar sperren. Autoren und Autorinnen der Wikipedia müssen aber beim Schreiben Urheberrechte, Relevanzkriterien und Quellen beachten und Interessenkonflikte deutlich machen.
Auf die Frage nach der moralischen Glaubwürdigkeit von Quellen erwidert Jan Apel, dass keine Quelle immer zu jeder Zeit moralisch vertrauensvoll und zuverlässig sei. Aber die Nutzer*innen können das nachvollziehen und schauen, ob sie der Quelle vertrauen oder nicht.“ Bei Wikipedia-Einträgen müssen immer Sekundärquellen angegeben werden, einzelne Primärquellen sind nicht zulässig. „Die Informationen, die in Wikipedia sind, verändern sich jeden Tag, und es heißt nicht, dass die Informationen, die sie heute finden, allgemeingültig sind.“ Das sei nicht der Anspruch von Wikipedia, so Apel. Es sei eine „Aushandlung von Informationen“.
Und Sandra Becker lädt ein, Teil der Wiki-Community zu werden: „Du weißt bestimmt etwas, das andere noch nicht wissen. Teile es und werde Autor und Autorin auf der Wikipedia“.
Informationen dazu im Portal Wikipedia:Berlin.
Medienarchiv Wikimedia Commons
Wikimedia Commons ist seit 2004 das Medienarchiv für die Wikipedia. Es umfasst momentan über 55 Millionen Objekte. Das sind frei lizenzierte Fotos, Grafiken, Dokumente, Audio- und Videodateien, „die für alle anderen Wikimedia-Projekte und die freie Nachnutzung durch jede Person und auch maschinelle Anwendung bereitgestellt werden“.
Besondere Beachtung verdienen hierbei aber die Lizenzbedingungen und Nutzungsrechte. Bilder sind zumeist urheberrechtlich geschützt, oft aber unter Creative-Commons-Lizenzen zur Nutzung freigegeben. So genannte gemeinfreie Bilder, bei denen die Rechte abgelaufen sind, können unkompliziert genutzt werden. Um für die Nachnutzung die notwendigen Lizenz- und Urheberrechtsfragen zu klären, gibt es für Bilder den Lizenzhinweisgenerator.
Die Anwendung soll helfen, „Bilder aus Wikipedia und dem freien Medienarchiv Wikimedia Commons einfach und rechtssicher nachzunutzen.“ Dazu wird die URL des Bildes in die Anwendung eingegeben und es müssen Fragen beantwortet werden, z. B.: Wie wollen Sie das Bild nutzen? Online oder offline? Danach erhält der User den Lizenzhinweis, der kopiert und eingefügt werden kann. Aber: „Die Anwendung kann niemals alle möglichen Anwendungsfälle und Besonderheiten abdecken.“ Denn gerade Urheberrechtsfragen, aber auch die der Motivdarstellung sind kompliziert.
So stellt sich die Frage im Streitfall bei einem argentinischen Bild mit argentinischen Motiven: Welches Recht gilt? Das argentinische oder doch das amerikanische, da die Server in den USA stehen? Die Abbildung nackter Menschen in der Wikipedia, z. B. auch in Kunstwerken, ist in den USA umstritten und hat schon zur Löschung entsprechender Bilder geführt. In Europa ist die Betrachtungsweise eine andere, die Bilder wurden wiederhergestellt. „Die Community ist selbstregulierend“, betont auch Martin Rulsch.
Beim Upload von Bildern ist eine Anmeldung erforderlich. Generell müsse besonders auf exakte Angaben zu Nutzungsrechten und zur/zum Inhaber*in geachtet werden. Und „die Beschreibung der Bilder sollte an einer Stelle verortet werden können. Je besser beschrieben – auch mit Metadaten –, desto besser seien sie auch zu finden“.
Beim Hochladen von Bildern gibt es einen Check der Urheber durch Wikimedia Commons. „User, die schon eine Weile dabei sind, genießen dabei aber einen Vertrauensvorschuss was den Persönlichkeitsrechtscheck angeht“. Es werde aber nicht überprüft, ob die Persönlichkeitsrechte von Personen auf den Bildern gewahrt seien. Dafür hafte der-/diejenige, der/die die Bilder hochlädt, erklärt Martin Rulsch.
Wikidata – Datenrepositorium für Wikipedia-Projekte
Das 2012 in Berlin gestartete Projekt Wikidata umfasst 59 Millionen lizenzfreie Datenobjekte und 20.000 aktive Benutzer*innen zur Unterstützung aller Wikimedia-Projekte. Bei der Gründung des Projekts kam es darauf an, einen Ort zu schaffen, an dem einzelne Informationen zentral gespeichert werden können, um der sich verändernden Welt Rechnung zu tragen. Daten wie die Einwohnerzahl von Deutschland oder die der verschwundenen Tierarten müssen aktuell gehalten werden – an einem Ort für alle Wikipedia-Sprachen.
„Heute ist Wikidata sehr, sehr viel mehr“, beschreibt Jan Apel das Projekt. Es sei immer noch der zentrale Ort für Wikipedia, aber „die Millionen Datensätze sind verknüpft.“ Das kommt beispielsweise den Lexemen zugute. Nicht jedes Wort lässt sich mit einem Wort einer anderen Sprache angemessen übersetzen. „Manchmal brauchen sie 2,5 oder 10 Wörter, um exakt das Konzept dieses Wortes einer Sprache zu erklären“, so Apel. „Und das können sie in Wikidata hinterlegen.“
Entscheidend für Wikidata ist die CC0-Lizenz, sagt Andrea Knabe-Schönemann: „Alle können alles nutzen“. Wikidata ist eine freie Datenbank des Wissens der Welt. Sie bietet beliebig nachnutzbare Inhalte an, die gleichermaßen von Menschen und Maschinen gelesen und gepflegt werden können. „Das Projekt stellt strukturierte Daten in allen Sprachen der Wikimedia-Projekte bereit und erlaubt einen zentralisierten Zugriff (ähnlich wie Wikimedia Commons für Dateien/Bilder)“.
Anhand einer Weltkarte erläutert Jan Apel das Ziel von Wikidata: Daten zu finden und nutzbar zu machen, damit schwarze Flecken in Afrika oder Asien verschwinden und so hell leuchten wie Europa und Nordamerika: „Wir möchten die ganze Welt zum Leuchten bringen.“
Text: Thomas Prinzler