„Es gibt nichts, was man nicht bauen kann!“ – so heißt es üblicherweise in der Offenen Werkstatt der Technologiestiftung im CityLAB. Wie aber überträgt sich ein Veranstaltungsformat ins Digitale, das auf einem ausgeprägten hands on-Ansatz basiert?
Digitale Straßenmusik und GPS-Tracker fürs Haustier, LED-verstärkte Fahrräder oder sensorgesteuerte Bewässerung für pflegehungrige Fensterpflanzen: In der „Offenen Werkstatt“ der Technologiestiftung Berlin können Berliner Bürger*innen mit selbst-gecodeten digitalen Tools und Hardware am digitalen Stadtleben der Zukunft tüfteln. Das partizipative Bildungsformat setzt dabei auf Methoden der Elektrotechnik und Informatik.
Jeden letzten Freitag im Monat heißt die Veranstaltungsreihe Technikenthusiasten und Maker*innen in der Werkstatt im CityLAB willkommen – unter normalen Umständen. Denn seit dem Corona-Lockdown ist auch das analoge Veranstaltungsprogramm der Technologiesiftung eingeschränkt. Wie sie Macher*innen und Technikinteressierten nun digital einen Raum zum Experimentieren bieten, erzählen die Veranstaltungsleiterinnen Carolin Clausnitzer und Sara Reichert.
Ihr erarbeitet gerade neue Veranstaltungsformate aus dem Homeoffice. Wir tauscht ihr euch aus der Distanz kreativ aus?
Carolin Clausnitzer: Jour Fixe und generelle Absprachen im Team erledigen wir größtenteils mit dem Open Source-Kollaborations- und Clouddienst Nextcloud oder auf kurzem Weg mit dem Messenger-Tool Slack. Für die kreative Zusammenarbeit ist es jedoch gar nicht so leicht, ein Tool zu finden, das alle gern mögen. Aktuell nutzen wir für unser Brainstorming die Software Miro. Man kann sie auch sehr gut für virtuelle Design Thinking-Sprints einsetzen. Für die Projektentwicklung, besonders mit externen Partnern, sind wir inzwischen begeistert von Nuclino (ein Startup aus München). Dort kann man etwa hinsichtlich der gemeinsamen Projektentwicklung in wichtige Punkte untergliedern (z.B. Recherche, Beschreibung, technische Details, Zeitplan etc.) und auf diesen Ebenen separat arbeiten. Am Ende wird dann alles in einem Produktionsplan zusammengefasst. Für den administrativen Projektüberblick nutzen wir wie bisher unsere selbstgebauten Word- und Excel-Templates auf unserem Server. Man kann richtig geniale Retro-Templates damit bauen, die funktional und überhaupt nicht langweilig sind – ich würde sie schon fast als „stylisch“ bezeichnen.
Welche technische Lösung habt ihr zur Umsetzung eurer digitalen Werkstatt gefunden?
Sara Reichert: Wir setzen auf Videokonferenzen. Für die Wahl des Tools verfolgen wir natürlich die aktuellen Ereignisse und bevorzugen eine DSGVO-konforme Open Source-Lösung. Anforderung für uns war, dass die Teilnehmer*innen möglichst barrierefrei und ohne Registrierung den Online-Veranstaltungen beitreten können. Aktuell nutzen wir deshalb die quelloffene Software Jitsi Meet. Für uns war sie auch attraktiv, weil man eine zusätzliche Kameraquelle einbinden kann – z.B. für den Blick auf den Arbeitstisch. Gerade für Workshops ist das sehr praktisch. Zur Unterstützung empfehlen wir ein Headset. Dann hat man uns direkt am Ohr, ist etwas abgeschirmt von den Geräuschen des Alltags und sendet nicht so viele Nebengeräusche an die anderen Teilnehmer*innen.
Wie geht ihr aktuell damit um, dass die Teilnehmenden aus dem Lockdown heraus nur einen sehr begrenzten Zugang zu Equipment und Materialien haben?
Carolin: Normalerweise stellen wir für unsere Workshops digitale Hardware aus der Hacking Box (Microcontroller, Steckbrett, Motoren, Sensoren, LEDs & Co) zur Verfügung. Die Werkstatt-Sessions haben thematischen Bezug zu unterschiedlichen Stadtthemen. Je nach Fokus stellen wir jeweils passende Boxen zusammen. Aufgrund unseres großen Fundus leihen wir einen Teil unseres Bestands auch an Schulen, Vereine und Initiativen für eigene Veranstaltungen aus (wichtig dabei ist die Gemeinnützigkeit), was auch gern in Anspruch genommen wird. Nun können wir angesichts der aktuellen Situation die Technik nicht ausleihen, da wir sie danach desinfizieren müssten und sie so wahrscheinlich unbrauchbar machen würden.
Carolin: An dieser Stelle mussten wir erfinderisch werden, improvisieren und auf einen Fundus des Alltäglichen umsteigen – Dinge, die jeder in seinem Umfeld finden kann. Natürlich folgt uns bei unseren Veranstaltungen auch die Werkstatt-Community, die bereits einige der Workshops vor Ort bei uns besucht und die entsprechende Hardware zu Hause hat.
Wir haben es bisher so gelöst, dass es zunächst einen einfachen gemeinsamen Bauteil gibt – das waren bei unserer Veranstaltung „Offene Werkstatt @CityLAB: Maskenball (online)“ Ende April einfache Visiere unter Verwendung von Prospekthüllen, Draht und gezeichneten oder gedruckten Outlines von Lieblingshelden oder -tieren.
Danach folgte der Elektronikteil, im Rahmen dessen diese einfachen Prototypen mit Elektronik angereichert wurden – vom Abstandshalter bis zur blinkenden Einhorn-LED waren der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Man konnte entweder zugucken und die Ergebnisse bestaunen, oder selbst tätig werden. Die Methode ist bisher gut angekommen.
Wie garantiert ihr darüber hinaus einen reibungslosen Ablauf?
Sara: Um das Onboarding der Teilnehmer*innen zu erleichtern, bitten wir in unseren Veranstaltungsankündigungen – ob über die Kanäle der Stiftung oder auch externen Plattformen wie Meetup – um eine Anmeldung. Die Angemeldeten erhalten einen Teilnahmelink zu Jitsi – entweder per E-Mail oder auch automatisiert über Meetup, wo wir als Veranstalterinnen den passenden Link hinterlegen können. Im Vorfeld versenden wir auch eine Netiquette, welche über Browserart, Einsatz des Mikros, Möglichkeiten des Videotools etc. informiert. Dies hat sich insbesondere bei Teilnehmer*innen bewährt, die noch nicht so viel Erfahrung in der Nutzung von Videokonferenz-Tools haben. Zudem müssen die Teilnehmer*innen vor der Veranstaltung ihren Arbeitsplatz vorbereiten und einige Dinge zurechtlegen. Dazu erhalten sie von uns nach der Anmeldung ebenfalls entsprechende Informationen und eine Materialliste.
Carolin: Für die Durchführung des eigentlichen Online-Workshops kommen bei uns etwa zwei Betreuungspersonen auf fünfzehn Teilnehmer*innen – das ist doppelt so viel wie bei einem Workshop vor Ort, aber absolut notwendig. Der/die Workshopleiter*in führt praktisch durch die Veranstaltungen – macht Live-Demos und begleitet die entstehenden Projekte der Teilnehmer*innen mit Blick auf die angesetzte Zeit. Im Vorfeld erarbeiten wir hierzu für den Workshop ein Script, in dem jeder Arbeitsschritt auch zeitlich verankert ist.
Sara: Als Hilfsmittel spielen wir während der „Stillarbeitsphasen“, das heißt wenn konzentriert gebaut wird, YouTube-Videos ein (z.B. MacGyver) und haben den guten alten Timer vom Design Thinking wiederentdeckt. Der/die Communitybetreuer*in kümmert sich um den Chat, um die Dokumentation (sehr wichtig!) und die Vernetzung der Teilnehmer*innen während der Veranstaltung – natürlich datenschutzkonform. Es geht uns vor allem auch um einen klugen thematischen Diskurs während der Session. Wir greifen Hinweise der Teilnehmer*innen auf und bringen relevante Beispiele aus Kunst und Kultur, Architektur und Technikgeschichte mit ein.
Carolin: Zusätzlich hat sich der Bedarf ergeben, dass Teilnehmer*innen auch gern intensiver über weitere eigene (Hardware-)Projekte mit uns sprechen möchten. Deshalb bietet Sara jetzt im zweiwöchigen Turnus das „Offene Ohr“ als Online-Format für einen lockeren Austausch mit Einzelpersonen (z.B. Lehrer*innen) oder Kleingruppen (wie z.B. Kinder mit ihren Eltern, Künstlergruppen) an. Die Teilnehmer*innen erhalten von uns vorab jeweils einen eigenen Slot im virtuellen Konferenzraum mit Anmeldelink.
Wie sieht es mit der Aufmerksamkeitsspanne eurer Teilnehmer*innen online aus?
Carolin: Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass wenn sich Teilnehmer*innen einmal für unsere Veranstaltung angemeldet haben, sie auch wirklich dabei sind. Das mag daran liegen, dass unsere Formate meist hands-on und interaktiv sind, d.h. wir beziehen die Teilnehmer*innen direkt mit ein und begleiten sie bei der Entstehung ihres eigenen Projekts. Nur etwa 20% der Teilnehmer*innen hören während der Session nur zu oder sind weniger aktiv – das erkennt man aber nicht unbedingt am ausgeschalteten Video. Es gibt auch superaktive Teilnehmer*innen, welche die Chatfunktion als Kommunikationsebene nutzen und entsprechend von unserem/er Communitybetreuer*in mit einbezogen werden. Wenn Teilnehmer*innen später dazukommen oder den Raum verlassen, kündigen sie das meist an – abgesehen von technischen Problemen, dann sind sie meist wenig später wieder online. Einmal aus- und einloggen kann wahre Wunder bewirken.
Sara: Wenn jemand sich wirklich nicht mehr einloggen kann, kommunizieren wir im Nachgang die Ergebnisse (z.B. via GitHub) und schicken ggf. noch eine Anleitung zu. An den Veranstaltungsablauf halten wir uns möglichst genau, um Chaos zu vermeiden. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch einmal davon abweichen können – auch das Unvorhersehbare kann spannend sein! Die Konzeption von Online-Veranstaltungsformaten ist auch für uns eine kleine Reise und wir teilen gern unsere Erfahrungen.
Die Fragen stellte: Silvia Faulstich
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