Mit dem zehntägigen Festival „SPAM – Spandau macht Alte Musik“ holt das Kulturhaus Spandau international renommierte Künstler*innen in den Berliner Nordwesten – und versucht so mehr Menschen mit Interesse an einem gehobenen Kulturangebot anzulocken. Eine digitale Anwendung sollte dieses Ziel unterstützen.
Um die genannte Zielgruppe besser zu erreichen, sollten im Zuge des ‚Culture meets Coder‘-Projekts neue digitale Kommunikationswerkzeuge zur direkten Ansprache entwickelt werden. Warum dabei wider Erwarten kein neues Tool entstand, erzählt Katrin Stahmleder, Spielleiterin der Freilichtbühne an der Zitadelle und Kuratorin der Galerie Kulturhaus.
Was hat euch dazu veranlasst, an ‚Culture meets Coder‘ teilzunehmen?
Katrin Stahmleder: Das Kulturhaus Spandau leistet mit ca. 400 Veranstaltungen jährlich im Kulturhaus selbst, auf der Zitadelle, der Freilichtbühne an der Zitadelle und im öffentlichen Raum einen signifikanten Beitrag für das Spandauer Kulturangebot. Das bisherige Publikum bevorzugt vor allem ein niedrigschwelliges Angebot, vorwiegend aus dem Unterhaltungsbereich. Zukünftig möchten wir zusätzlich auch ein Publikum inner- und außerhalb des Bezirks ansprechen, das ein gehobenes Kulturangebot präferiert. Dieses Ziel bilden wir programmatisch ab Mai im Festival ‚SPAM‘ an drei Spielorten durch 20 Konzerte mit international renommierter künstlerischer Besetzung ab. ‚SPAM‘ sollte aber auch für unsere Kommunikationsarbeit eine Blaupause darstellen: Im Zuge von ‚Culture meets Coder‘ wollten wir am Fallbeispiel des Festivals ein neues digitales Tool und eine zugehörige Marketingstrategie entwickeln, mit denen neue Zielgruppen erschlossen werden. Das Tool sollte sich in das bisherige Kommunikationskonzept des Hauses integrieren lassen.
Warum habt ihr euch letztendlich gegen eine App oder eine neue Webplattform entschieden?
Während der ‚Culture meets Coder‘-Session auf der re:publica 2019 wurde unsere erste Idee, eine App zu entwickeln, durch Vor-Ort-Gespräche infrage gestellt. Dass das nicht der naheliegendste Schritt in Richtung neuer Zielgruppen sein kann, bestätigte uns dann auch die mit uns arbeitende Webagentur schnell. Eine zusätzliche, festivalzentrierte Online-Anwendung wäre zu projektspezifisch und wenig übertragbar auf zukünftige Programmangebote. Vor allem aber wurde klar, dass eine App zusätzliche Personalressourcen für eine Bespielung abverlangen und eine sehr lange Anlaufphase benötigen würde – Man- bzw. Womanpower und Projektzeit, die wir nicht hatten.
Der Dialog mit den Entwickler*innen hat zwei Ergebnisse hervorgebracht: ein Konzept zur Anpassung der existierenden Website und ein Guide zur Optimierung der bestehenden Social Media Kanäle. Statt neuer Angebote wanderte der Blick also in den vorhandenen digitalen Kanalmix. Welche Aspekte wolltet ihr in euren Kanälen besonders stärken bzw. verändern?
Den Codern wurde sehr schnell klar, dass gerade auf unserer Website und unseren Facebook-Auftritten ungenutzte Potentiale liegen und es viel sinnvoller ist, hier zu optimieren als etwas Neues, Zusätzliches zu kreieren.
Was uns auf allen Kanälen klar fehlte, war Struktur: angefangen bei der Informationsarchitektur der Website bis hin zu einem einheitlichen Wording. Auch unsere Social Media-Kommunikation galt es zu optimieren – etwa mit neuen Inhaltsformaten und einer längerfristigen Contentplanung.
Worauf haben die Entwickler*innen besonders geachtet?
Die aktuelle Website ist absolut nicht user*innenfreundlich, geschweige denn intuitiv. Auch sind Plug-Ins wie etwa der Veranstaltungskalender unübersichtlich und teilweise nicht funktionsbereit. Jedoch ist die größte Schwäche der vorhandenen Site, dass Besucher*innen überhaupt nicht klar werden kann, was das Kulturhaus Spandau eigentlich ist: Nämlich ein Kulturveranstalter mit drei festen Spielstätten sowie Angeboten im öffentlichen Raum und mehr als 400 spartenübergreifenden Veranstaltungen im Jahr – von Konzerten und Theater über Ausstellungen bis hin zu Familienformaten.
Die Coder*innen entwarfen ein Grobkonzept einer neuen Website. Dabei entwickelten sie eine Struktur, die den Nutzer*innen einen Überblick zu den Orten und zum Gesamtprogramm ermöglicht sowie Filteroptionen für individuelle Interessen als auch „Nice-to-haves“ (Künstler*innenporträts etc.) bietet. Sie machten einen Vorschlag, der die bestehenden Zielgruppen nicht verprellen sollte, ebenso aber auch die neue Besucher*innengruppe schnell zu relevanten Inhalten führen würde. Der Relaunch nach diesem Konzept ist für 2020 geplant.
Ihr wart zuvor bereits aktiv auf Facebook. An welchen Punkten steuert ihr nun noch nach?
Was hier und auf den anderen Kanälen neu umgesetzt wird, ist die Einführung inhaltlicher Formate und Serien, wie: ‚SPAM macht Programm!‘ (Konzertinhalte) / ‚SPAM stellt sich vor!‘ (Teamvorstellung) / ‚SPAM fragt nach‘ (Künstler*inneninterviews). Es gibt jetzt außerdem ein einheitliches Wording und eine klare Netiquette, Struktur in den Texten, deutlich mehr Verlinkungen und eine aktive Kommunikation auf anderen relevanten Seiten. Intern wurde die Arbeit mit einem Excel-basierten Redaktionsplan begonnen und Beiträge geplant. Zukünftig wollen wir verstärkt mit Grafiktemplates (angelehnt an das Corporate Design der neuen Website) arbeiten. Außerdem wird es durch die Zusammenlegung der anderen beiden Facebookseiten (Kulturhaus Spandau und Freilichtbühne an der Zitadelle) letztlich nur noch eine Facebookpräsenz geben.
Welche Empfehlungen würdest du anderen Institutionen geben, die ihre Online-Kommunikation optimieren wollen?
Die Voraussetzung für Erfolg ist der Start bei den Basics: Bei uns gab es entscheidende Wissenslücken in der aktuellen Handhabe des Social Media-Marketings. Deshalb war eine Einführung essentiell und nachhaltig. Die Grundvoraussetzung für die Ansprache einer neuen Zielgruppe sollte immer eine genaue Analyse sein: Welche Kanäle werden durch die anvisierte Zielgruppe genutzt und warum? Was sind relevante Inhalte? Welche Formate sprechen an und wie kann ein gelungener Mediamix aussehen? Für die praktische Arbeit ist der Redaktionsplan ein unterstützendes und entlastendes Tool. Er hilft den Social Media-Verantwortlichen Inhalte strukturiert zu planen, abzuarbeiten und ggf. an andere im Team abzugeben.
Was waren Lessons Learned hinsichtlich der Umsetzung des Digitalprojekts?
Die vorhandenen Ressourcen (personell und monetär) des Kulturbetriebs sind im Vorfeld genau abzuwägen und Ziele SMART zu formulieren: Während ‚Culture meets Coder‘ haben wir erlebt, dass Feedbackschleifen nicht immer in dem benötigten Tempo gegangen werden können – einerseits, weil auf unserer Seite viele Entscheider*innen involviert waren, andererseits, da die (zu wenigen) Kulturakteur*innen in mehreren Projekten gleichzeitig eingebunden sind. Ausreichend Zeit und Puffer im Projektmeilensteinplan sind daher wichtig. Auch müssen aufgrund der Vergaberichtlinien im öffentlichen Sektor die Kosten im Vorfeld genau kalkuliert sein, da Abweichungen nur schwer auszugleichen oder umzuverteilen sind.
Bei der projektbasierten Arbeit ist ein nachhaltiger Umgang mit den Ergebnissen essentiell – ob das nun gesammelte Erfahrungen oder konkrete Programmierungen sind. Das betrifft insbesondere Institutionen, in denen sich Personalstrukturen stetig wandeln. Entscheidend sind hier Wissenssicherung und -transfer nach innen. Wir setzen daher auf eine gute Dokumentation: Unser Projekt-Guide dient gleichzeitig als Handbuch und kann durch andere direkt genutzt werden. Skalier- bzw. Übertragbarkeit ist ein weiterer, wichtiger Faktor. Wir haben unser Projekt zur neuen Zielgruppenansprache an den Anwendungsfall ‚SPAM‘ geknüpft. Die für ein Fallbeispiel entstehenden Konzepte oder technischen Lösungen sollten immer auch auf Anschlussthemen übertragbar sein. Eine rein auf dieses Festival zugeschnittene App wäre beispielsweise nicht skalierbar gewesen.
Mit Culture meets Coder haben wir Expertise bekommen, die bislang fehlte. Generell ist zu empfehlen: Kulturbetriebe sollten offen sein für Input von außen und sich nicht vor Veränderung scheuen. Der digitale Wandel steht gerade im öffentlichen Sektor aufgrund fehlender technischer und personeller Ressourcen leider immer noch hinten an. Ein Umdenken an dieser Stelle, auch wenn das zunächst Mehraufwand bedeutet, kann im Ergebnis Ressourcen bündeln und den Kulturbetrieb nachhaltig voranbringen.
Die Fragen stellte: Silvia Faulstich