Wie kann auch eine kleine Kulturinstitution ihre Services digital optimieren und den Erwartungen ihres Publikums gerecht werden? Im Projekt „Culture meets Coder“ etablierte das Figurentheater Grashüpfer erstmals prototypisch ein Onlineticketing. Caroline Gutheil, Leiterin des Theaters, über Vor- und Nachteile digitaler Ticketsysteme, Kostenstrukturen und den Wert von Vorabtests.
Schlechte Internetverbindung, nur wenige feste Mitarbeiter*innen und eine langjährige Ticketverwaltung auf Papier – erdenklich schlechte Ausgangsbedingungen für die Einführung eines digitalen Service.
Caroline, warum wolltest du dennoch ein neues Digitalangebot etablieren?
Caroline Gutheil: Das Figurentheater wurde über 20 Jahre ehrenamtlich durch eine einzige Person geleitet. Dabei und dank des hoch anfälligen Internetzugangs haben sich sehr viele analoge Prozesse etabliert. Mit meinem Start 2017 vollzog sich ein Generationenwechsel. Ich habe gemerkt, dass die analoge Ticketreservierung sehr aufwändig und auch fehleranfällig ist. Wenn zum Beispiel eine Reservierung erfolgt – ob per Telefon oder per E-Mail – wird sie per Hand aufgeschrieben. Da schleichen sich schnell Fehler ein. Dadurch, dass wir vorab keine Tickets verkaufen können, wissen wir natürlich zudem nie genau, wie viele Menschen am Ende des Tages tatsächlich in der Vorstellung sitzen werden: Wir sind ein Kindertheater und da kommt es nicht selten vor, dass ein Kind krank wird oder spontan nicht mehr ins Theater möchte. Unsere Reservierungen deuten dann vielleicht auf ein volles Haus, das spiegelt sich am Ende aber nicht in tatsächlichen Besuchen. Um dem zu begegnen, ist für uns ein Ticketing-System sinnvoll, das durch die Vorabbezahlung eine höhere Verbindlichkeit erzeugt.
Sie hatten auf der Website bislang ein rudimentäres Bestellformular, bei dem man mit Freitexten Ticketwünsche und Kontaktinformationen eingeben konnte. Welches Wissen konnten Sie daraus für das spätere Ticketsystem ziehen?
Das Formular hat gezeigt, dass sich digital lohnt. 80% aller Bestellungen erfolgen bei uns inzwischen online. Nur noch die wenigsten Personen rufen an, um ein Ticket zu reservieren. Das sind oft Großeltern, die mit ihren Enkelkindern kommen möchten. Wir haben insgesamt ein sehr breites Publikumsspektrum: Das reicht von jungen, hippen Eltern vom Prenzlauer Berg, die am liebsten online mit PayPal zahlen möchten, bis hin zu älteren Menschen, die den Direktkontakt schätzen und sich vielleicht noch Veranstaltungsempfehlungen geben lassen möchten. Auch weniger digitalaffinen Menschen wollen wir Zugänge zu Tickets bieten. Daher wird auch die telefonische Bestellung nach Einführung des Onlineticketings weiter möglich sein. Wir müssen uns aber zugleich den Bedürfnissen unseres zunehmend jüngeren Elternpublikums anpassen.
Zum Auftakt des Projekts hast du an einer Veranstaltung von kulturBdigital bei der re:publica 2019 teilgenommen. Ziel war es, Ihre Problemstellung an Entwickler*innen und Digitalaffine vor Ort heranzutragen und Impulse für Lösungen einzuholen. Welche Optionen waren im Gespräch?
Ich hatte zu Beginn noch gar keinen festen Plan dazu, wie wir das Thema umsetzen würden und bin sehr ergebnisoffen in den re:publica-Termin gegangen.
Es deutete sich dann sehr schnell an, auf bestehende Ticketing-Anbieter zurückzugreifen, anstatt ein ganz neues, eigenes System zu erstellen. Ganz glücklich waren wir mit den vorgeschlagenen Anbietern wie Eventim, Evenbrite oder Reservix aber nicht.
Warum kamen diese Dienste für Sie nicht in Frage?
Diese großen Ticketsysteme erheben hohe Verkaufsgebühren von bis zu 1,00 €, die zusätzlich auf den Ticketpreis aufgeschlagen werden. Die Eintrittspreise im Figurentheater waren – 6,00 € ermäßigt für Kinder, Student*Innen und Berlinpassinhaber*Innen und 9,00 € Normalpreis – sehr niedrig. Unter unseren Besucher*innen haben sehr viele einen Berlinpass, der Einkommensschwächeren den Zugang zu Kulturangeboten erleichtert. Eine Gebühr von 1,00 € auf dem Ticketpreis ist für unserer Publikum unattraktiv und würde nicht dazu führen, dass Tickets vorab online gekauft werden.
Alternative für uns war dann der Dienst pretix, der eine günstigere Preisstruktur bietet. Pretix ist eine Software, die es Veranstaltern ermöglicht, Tickets anzubieten, zu verkaufen und Teilnehmende zu verwalten. Pretix nimmt pro verkauftem Ticket 2,5% der Roheinnahmen. Dies bedeutet in unserem Fall nur eine zusätzliche Gebühr von 0,15 € bis 0,38 €.
Pretix ist eine Open Source Software. Es gibt sie als Software-as-a-Service – also mit zusätzlichen Diensten – aber auch kostenfrei, für alle, die das System selbst hosten, aufsetzen und warten können. Warum habt ihr euch für die Service-Variante entschieden?
Der externe Support war für uns sehr wichtig. Die Mitarbeiter*innen des Figurentheaters müssen das System bedienen können, sind technisch aber nicht so fest im Sattel, um auch die Wartung selbst zu übernehmen. Daher war für uns die Variante mit externem Support die bessere Lösung, um bei Problemfällen Ansprechpersonen zu haben.
Wie bist du bei der Implementierung vorgegangen?
Unsere eigene Website hat derzeit noch Probleme und wird überarbeitet. Daher ließ sich das Ticketing nicht sofort dauerhaft integrieren. Wir haben daher zunächst unseren Account pretix eingerichtet und die Seite mit unserem Logo versehen. Um Weihnachten 2019 sind wir dann in eine Testphase mit dem Online-Ticketing gestartet. Dazu haben wir 10 ausgewählte Veranstaltungen zur Online-Buchung freigegeben. Aufmerksam gemacht haben wir auf den Test auf verschiedenen analogen wie auch digitalen Kanälen: Wir hatten ein Werbefeld auf unserer Startseite, haben alle Veranstaltungshinweise auf Facebook mit pretix verlinkt und zudem über unseren Newsletter sowie unserer Neujahrskarte und Plakaten für das Online-Angebot geworben.
Wie war die Resonanz?
Das Angebot wurde sehr gut angenommen. Gleichzeitig hat sich durch den Praxistest gezeigt, wo die Fallstricke liegen. Eine Rückmeldung betraf zum Beispiel die Anmutung der Onlinetickets. Sie unterscheiden sich von den Tickets an unserer Kasse in ihrem visuellen Erscheinungsbild und in der Anzeige von Datum und Uhrzeit. Wir wollen das in Zukunft stärker angleichen. Auch intern haben wir durch den Testlauf wichtige Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel kann momentan noch nicht automatisiert geprüft werden kann, ob die Zahlung erfolgt ist – die Prüfung muss noch zeitaufwändig manuell erfolgen. Außerdem wollen wir das Einstellen neuer Veranstaltungen erleichtern, indem wir längere Veranstaltungszyklen über ein Jahr anlegen.
Und wie sieht es mit eurem Ziel aus, Bestellungen auch in tatsächliche Besuche umzuwandeln?
Ich kann zumindest sagen, dass die Personen, die online gekauft haben, auch zur Aufführung da waren. Hier hat sich also eine höhere Verbindlichkeit eingestellt. Aber natürlich sind diese Beobachtungen zum jetzigen Zeitpunkt nur bedingt repräsentativ.
Wie geht es für euch nun weiter? Welche Weiterentwicklungen zieht ihr in Betracht?
Gerade läuft das Ticketsystem noch über unseren Account bei pretix. Man steuert für die Bestellung also eine fremde Seite an. Mit der Überarbeitung unserer eigenen Website möchten wir das Ticketing dann über eine Schnittstelle direkt in unsere Onlinepräsenz integrieren und so das alte Reservierungsformular ablösen. Langfristig möchte ich dann zusätzlich ein digitales Buchhaltungssystem einführen, das mit dem Ticketing vernetzt ist.
Wichtig wird spätestens dann auch die Schulung aller Mitarbeiter*innen. Bislang bin ich noch diejenige, die das System testet und die Benutzung erlernt. Später werde ich dann die anderen anleiten. Nichtsdestotrotz ist für uns aber wichtig, dass wir bei individuellen Benutzungsfragen auch künftig einen Support durch den Dienstleister haben.
Was würdest du anderen Kulturinstitutionen raten, die sich auch dem Thema Ticketing widmen wollen?
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Kostenstruktur. Hier gilt es, genau abzuwägen, was man selbst tragen kann bzw. muss und wieviel man dem Publikum zumuten möchte. Viele externe Anbieter sind relativ teuer – 10% Gebühren für ihre Dienstleistung sind weit verbreitet. Das ist für kleine Kulturinstitutionen mit niedrigen Ticketpreisen unattraktiv. Ist die Gebühr nämlich zu hoch, werden die Tickets für die Zielgruppen zu teuer. Zusätzliche Kosten ergeben sich wiederum für uns als Veranstalter: Beispielsweise ist momentan nur eine Bezahlung per Bankeinzug bei uns möglich. Bei der Zahlung per Kreditkarte durch die Zuschauer*in fallen zusätzliche Transaktionsgebühren an, die wir als Veranstalter tragen müssen. Rechtlich gesehen, darf man nämlich diese Kosten nicht auf die Zuschauer*innen umlegen. Ähnlich schwierig ist es mit PayPal.
Insgesamt kann ich aber nur dazu raten, sich die Bedarfe der eigenen Zielgruppe anzuschauen. Bei der Bewerbung des neuen Angebots war es bei uns hilfreich, dass wir analoge und digitale Medien verzahnt haben. Direkt auf unserer Website haben wir zum Test des neuen Service auf pretix.de geworben. Auf diese Art haben wir direkt die Querverbindung zu unserem Haus gezogen und das neue Angebot wurde ohne Vorbehalte angenommen
Die Fragen stellte: Silvia Faulstich