Wie funktioniert Kultur-Marketing in Zeiten von Online-Kultur-Events und digitalen On-demand-Angeboten? Um diese Frage ging es beim dritten Online-„Frühstückstalk“ im kulturBdigital Lab am 30. April 2021.
In der Werbekampagne 365/24 zeigte das Berliner Stadt-Marketing bisher, was Berlin zu bieten hat – und zwar rund ums Jahr, rund um die Uhr: Fête de la Musique, Lange Nacht der Museen oder Art Week. Die vielfältige Szene von Sub- und Hochkultur war eines der Hauptargumente, mit denen das Stadt-Marketing von visitBerlin Besucher:innen in die Stadt lockte. Und umgekehrt profitierten Kulturakteur:innen vom Tourismusmarketing über die zusätzliche Aufmerksamkeit und das Angebot, Tickets über Pauschalen zu vertreiben. Die Corona-Pandemie hat diesen gut funktionierenden Kreislauf zum Stillstand gebracht. Aber sie hat auch ganz neue Kooperationen und Erfahrungen ermöglicht.
Wie funktioniert Kultur-Marketing in Zeiten von Online-Kultur-Events und digitalen On-demand-Angeboten? Und welche Strategien zur Kommunikation und Bewerbung digitaler oder hybrider Kulturangebote haben sich in der Pandemie bewährt? Um diese Fragen ging es beim Frühstückstalk „Digitale Kulturangebote im Berlin-Tourismusmarketing“ vom kulturBdigital Lab am 30. April 2021. Zu Gast am Online-Frühstückstisch waren diesmal Lutz Henke, Kulturverantwortlicher bei visitBerlin, und Susanne Schreiber, Leiterin der Abteilung Presse und Kommunikation.
Kultur-Marketing: Vielfalt trotz Stillstand
Zu Beginn der Veranstaltung beschreibt Susanne Schreiber eindrucksvoll den Schockmoment, den der erste Lockdown im März 2020 für das Stadt-Marketing darstellte: Die Stadt, über die es immer etwas zu erzählen gibt, weil immer etwas passiert, stand mit einem Schlag still. Sie sei selbst überrascht gewesen, sagt Susanne Schreiber beim Frühstückstalk, wie schnell und in welcher Vielfalt die Kulturszene kurz nach den Schließungen digitale Angebote auf die Beine gestellt habe. Um diese weltweit sichtbar zu machen, entwickelte visitBerlin das Social Media-Format „from Berlin with love“: „Wir haben im Ausland eine richtige Fangemeinde von ehemaligen Besucher:innen, die sich stark mit Berlin identifizieren“, berichtet die Leiterin der Kommunikationsabteilung, „denen empfehlen wir jeden Tag ausgewählte Online-Events“.
Die beiden Frühstücksgäste von visitBerlin sind zuversichtlich, dass die Lust der Touristen auf Berlin wiederkehrt, sobald sich die Pandemie entspannt. Die Corona-Krise habe aber einen Trend verstärkt, der sich schon davor abgezeichnet hat, sagt Lutz Henke: „Virtuelle Angebote werden immer wichtiger für Reiseentscheidungen.“ Dabei fungieren digitale Angebote als Ergänzungen, aber keinesfalls als Ersatz für echte Reisen: „Wir wollen die Menschen nach wie vor nach Berlin holen, aber gleichzeitig haben wir jetzt z.B. über Livestreams die Möglichkeit, die Stadt in die Welt zu bringen.“
Eine Frage der Sichtbarkeit
Die Erfahrungen der Frühstückstalk-Teilnehmer:innen decken sich mit dieser Beobachtung: Streams von internationalen Künstler:innen finden weltweit ihr Publikum – vor allem, wenn die Künstler:innen dafür Werbung in der eigenen Community macht. Aber auch lokalere Angebote wie Livestreams vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit oder von LesArt, dem Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur, wurden weit über Berlin hinaus genutzt.
Neben der Streaming-Tipps von visitBerlin bietet z.B. das Goethe-Institut mit Kulturama ein Angebot, um deutschsprachige Angebote weltweit bekannt zu machen und die Künstler:innen mit Spenden zu unterstützen.
Natürlich wird im digitalen Raum nicht nur das potenzielle Publikum größer, sondern auch die virtuelle Konkurrenz anderer Kultureinrichtungen. Hier habe sich Berlin aber als Stadt gut positioniert, sagt Lutz Henke: „Nur wenige andere Städte haben ein so vielfältiges digitales Angebot.“ Die Herausforderung sei jetzt, diese Vielfalt spartenübergreifend sichtbar zu machen, aber gleichzeitig Orientierung zu bieten. Denn auch im digitalen Raum bilden sich verschiedene Nutzungsvorlieben heraus: Während die einen mit einem Livestream zufrieden sind, erwarten andere Interaktion oder Virtual Reality-Angebote. „Hier sehen wir auch im Stadt-Marketing eine Aufgabe, Angebot und Publikum passgenau zusammen zu bringen. Das gilt übrigens auch für analoge Kulturangebote: Die Zeiten, wo sich das Stadt-Marketing nur darauf konzentriert, massenkompatible Großevents zu bewerben, sind vorbei.“
Testlauf für Bezahlmodelle
Susanne Schreiber sieht in digitalen Kulturangeboten auch über die Corona-Krise hinaus eine Chance für das Stadt-Marketing: „Mit einem virtuellen Opern- oder Galeriebesuch können Besucher:innen auch nach ihrer Reise mit Berlin in Kontakt bleiben, sozusagen Streaming statt Urlaubsfotos gucken.“ Im letzten Jahr hätten auch ältere Zielgruppen sich für Streaming-Formate geöffnet. Gleichzeitig werde es immer normaler für Inhalte im Netz zu bezahlen, wobei Modelle z.B. aus dem Gaming-Bereich auch für den Kulturbetrieb ausprobiert werden: „Ob Abos, Spendenmodelle oder Fixbeträge – es wird viel ausprobiert und auch vom Publikum mitgetragen.“
Konkrete Erfahrungen zu diesem Thema konnte Antje Kaube, Leiterin des Bereichs Vertrieb und Ticketing im Radialsystem beisteuern: „Wir haben verschiedene Bezahlmodelle ausprobiert – von „pay what you want“ bis zu Einheitspreisen. Auffällig war, dass die Zuschauer:innen bei Live-Formaten oft freiwillig einen höheren Preis zahlen, vor allem wenn sie wissen, dass das Geld direkt den Künstler:innen zu Gute kommt. Beim Streaming on-demand wird eher nur der Mindestpreis gezahlt.“
Vor Ort, hybrid, analog – Planen für die neue Normalität
Die kurzen Phasen der Öffnung während der letzten Monate haben gezeigt, dass die Lust auf ein analoges Kulturerlebnis groß ist: Tickets und Zeitslots in Museen waren schnell ausverkauft. Trotzdem lohnt es sich, die Erfahrungen während der Pandemie mit in die neue Normalität zu nehmen, sagen Lutz Henke und Susanne Schreiber von visitBerlin. Eine Möglichkeit könnten hybride Veranstaltungsformate sein, so wie die Gegenwarts-Konferenz „Berlin Questions“, die visitBerlin gerade entwickelt. Dabei könne – je nach Lage der Pandemie – der Anteil der realen Besucher:innen oder der Online-Teilnehmer:innen erhöht werden, erklärt Henke: „Das kann man sich wie einen Schieberegler vorstellen, der zwischen den beiden Veranstaltungsformen analog und digital verschiedene Zwischenformen zulässt.“ Bestimmte Dialogformate könnten im digitalen Raum sogar besser funktionieren, hofft Lutz Henke: „Die Hürde im Chat eine Frage zu stellen, ist viel niedriger, als im Publikum aufzustehen und die Frage laut auszusprechen.“ Gleichzeitig erlebe er bei der Planung der Konferenz, wie aufwendig es ist, zwei Publika gerecht zu werden: dem vor Ort und dem auf den Bildschirmen.
Auch die Teilnehmer:innen des Frühstückstalks sind skeptisch, ob die Hybridveranstaltungen mit den gleichen Personalkapazitäten wie vorher gelingen können. Stellvertretend für viele formulierte Juliane Grossmann vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit im Chat: „Wir planen in der Tat, die Veranstaltungen weiterhin zusätzlich zu streamen und ja, das wird ein Kapazitätsproblem.“ Vor allem für Kultureinrichtungen, die ohne öffentliche Fördergelder auskommen müssen, sind Hybrid-Angebote nur attraktiv, wenn sich ein zahlendes Publikum findet, dass den Mehraufwand finanziert. Ehemalige Berlin-Besucher:innen oder „temporary citizens“, die über die Kanäle von visitBerlin das Stadtleben aus der Ferne verfolgen, wären dafür eine attraktive potenzielle Zielgruppe.
Text: Franziska Walser