Unter dem Motto „Wider den Wildwuchs?“ fragten wir nach der richtigen Strategie fürs Kultur-Streaming. Sind etablierte Plattformen unverzichtbar? Oder lohnt es sich eigene Plattformen aufzubauen, die die Bedürfnisse einzelner Sparten besser abdecken?
Kulturinstitutionen und Kulturschaffende mussten in den vergangenen Monaten schnell vom normalen Vor-Ort-Betrieb auf digitale Angebote umschalten. Verständlich, dass dabei viele auf schon bestehende Plattformen wie YouToube, Twitch, Instagram etc. zurückgegriffen haben. Das erlaubt zum einen sich „nur“ um die Inhalte zu kümmern und nicht um die Verbreitung. Zum anderen sind die großen Plattformen beim Publikum etabliert, was Nutzungshürden reduziert und die potenzielle Reichweite vergrößert.
Im Laufe der Monate bekamen die breit aufgestellten Plattformen Konkurrenz durch kleinere, kulturspezifische Angebote wie Spectyou oder dringeblieben.de. Auch Akteure des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Arte, der rbb und der Regionalsender ALEX Berlin stellten als Kooperationspartner:innen Reichweite und technische Unterstützung für Streamingangebote zur Verfügung.
Gleichzeitig regt sich bei einigen Kulturschaffenden der Wunsch nach Unabhängigkeit von kommerziellen Plattformriesen und branchenfremden Multiplikatoren. Das Ziel: individuell konfigurierbare digitale Ausspielorte aus und für den Kulturbetrieb. Doch wie lassen sich solche Angebote nutzer:innen-freundlich gestalten? Wie erhöht man die Sichtbarkeit der Angebote? Und wie können Plattformlösungen nachhaltig gestaltet werden? Diese Fragen wurden am 10. Mai 2021 in einem digitalen Workshop – organisiert von kulturBdigital, in Kooperation mit dem Kulturförderpunkt Berlin und Creative City Berlin – diskutiert.
Die Referent:innen waren:
- Anke von Heyl – Kunsthistorikerin, Bloggerin, Museumspädagogin & Expertin zu Social Media im Museumsbereich
- Volker Bach – Leiter von ALEX Berlin, Medienanstalt Berlin-Brandenburg
- Luisa Männel – Leiterin Kommunikation, Deutsches Theater Berlin
- Elisabeth Caesar – Spectyou, Streaming-Dienst für Theater, Schauspiel, Tanz & Performance
In einer ersten Runde schilderten die eingeladenen Referent:innen das vergangene Jahr aus der Perspektive ihres jeweiligen Bereiches und gaben Einblicke in besonders gelungene oder auch gescheiterte Streaming-Erfahrungen.
Den Anfang machte Elisabeth Caesar, die das vergangene Jahr genutzt hat, um den Start des Streaming-Dienstes „Spectyou“ voranzutreiben. Ausgangspunkt seien ihre Erfahrungen als Schauspieldramaturgin am Staatstheater Bern gewesen, erzählt Elisabeth Caesar: Ich konnte nicht mehr reisen, wollte aber trotzdem den Überblick über die deutschsprachige Theaterlandschaft behalten, um z.B. Schauspieler:innen zu scouten. Gleichzeitig habe ich nach einem Weg gesucht, um unsere Produktionen über Bern hinaus bekannter zu machen.“
Spectyou soll eine Mischung aus Branchen-Plattform, lebendigem Theaterarchiv und Streaming-Dienst werden, sagt die Gründerin.
Achtung Uploadfilter
Luisa Männel vom Deutschen Theater Berlin hat einige Erfahrungen – nicht nur positive – mit unterschiedlichen Plattformen gemacht. Das Theater begann sich ab dem ersten Lockdown im März 2020 schrittweise für das Thema Streaming zu öffnen. „Als erstes haben wir Aufführungen aus dem Archiv für jeweils 24 Stunden On Demand angeboten. Der richtige Paradigmenwechsel kam im Herbst 2020, als wir mit dem ‚Zauberberg‘ eine Inszenierung entwickelt haben, die Streaming als eigene Kunstform zwischen Kino und Theater begreift“, erzählt Luisa Männel. Die Verbreitung über YouTube bescherte der Premiere einen rekordverdächtigen Publikumserfolg von 10.000 Zugriffen. Es zeigte sich aber auch, wie stark sich Kulturinstitutionen bei dieser Art des Streamings in eine Abhängigkeit begeben – zum Beispiel von Plattform-Richtlinien. Luisa Männel: „Nach einer Viertelstunde wurde der Stream für nicht registrierte Nutzer:innen wegen jugendgefährdender Inhalte geblockt. Schuld waren vermutlich die Bodysuits, die die Schauspieler:innen trugen.“
Solche negativen Erfahrungen mit Upload-Filtern seien keine Seltenheit ergänzt die Museumspädagogin Anke von Heyl: „Es ist nicht leicht zu den Verantwortlichen durchzudringen. Aber wenn man oft genug protestiert, lernen die Algorithmen dazu. Inzwischen wird nicht mehr jede nackte Figur von Rubens automatisch blockiert.“ Eine Möglichkeit wäre, die Verwertungsgesellschaften stärker als Lobby zu nutzen, um die besonderen Bedürfnisse der Kunst zu vermitteln. Ein anderer Weg aus der Abhängigkeit wären eigene Plattformen, auf denen Kunstschaffende die Regeln selbst bestimmen.
Das bedeutet aber auch, dass sich die Häuser stärker mit Rechtefragen befassen müssen. Während große Plattformen Pauschalverträge z.B. mit der GEMA haben, müssen die Rechte bei einer unabhängigen Verbreitung eigenständig geklärt werden.
Eine für alle oder neue Wege suchen?
Eigene Wege gehen oder dort sein, wo das Publikum schon ist – das ist die Frage. Anke von Heyl plädiert dafür, bei allem Wunsch nach Unabhängigkeit, die Publikumsperspektive nicht zu vergessen: „Für das Publikum sind Social Media-Plattformen Teil des Alltags und deswegen sollte man sie nicht komplett abschreiben.“
Auch andere Teilnehmer:innen des Online-Events haben die Erfahrung gemacht, dass es wesentlich schwieriger ist, Nutzer:innen auf eigene Seiten zu locken, als auf die etablierten Plattformen zurückzugreifen. Wenn die Kulturszene den Streaming-Monopolisten die Stirn bieten will, dann nur gemeinsam, fordert Elisabeth Caesar von Spectyou: „Jetzt ist die Zeit um sich zu vernetzen und Banden zu bilden.“ Vorbild könnten Genossenschaftsmodelle wie die Musikplattform Resonate sein, bei der die Musiker:innen Anteile an der Plattform kaufen.
Volker Bach von ALEX Berlin sieht die Rolle seines Senders vor allem in der Erhöhung von Reichweiten. Verschiedene Kulturformate wie United We Stream haben den Sender im vergangenen Jahr genutzt, um neben ihren eigenen Streams neue Zielgruppen zu erreichen. Auch bei der technischen Umsetzung von Aufnahmen und Streams könne ALEX Berlin die Kultureinrichtungen unterstützen, ergänzt Volker Bach und nennt als Beispiel das Format United We Talk. Allerdings sei die Nachfrage wesentlich höher als die Studio- und Personal-Ressourcen: „Mehr als 200 Produktionen pro Jahr können wir im Moment nicht stemmen.“
Egal auf welcher Plattform: Wichtig sei, sagt Anke von Heyl, dass das digitale Publikum gesehen und auch mitgezählt wird – zum Beispiel wenn es um die Bewerbung für Fördermittel geht.
Preisexperimente vs. Umsonstkultur
Eng verbunden mit der Frage der Plattformwahl ist die Frage nach der Monetarisierung von Streamingangeboten. Elisabeth Caesar will sich mit ihrer Plattform Spectyou gegen die Umsonstkultur stemmen, die z.B. auf YouTube herrscht. Gleichzeitig sollen die Preise für das Streaming so kalkuliert sein, dass sich die Teilnahme auch für kleinere Häuser lohnt: „Bei Livestreams geben wir 95 Prozent der Umsätze direkt an die Theater weiter.“
Das Deutsche Theater wird öffentlich gefördert und konnte es sich deshalb leisten, Streams wie den „Zauberberg“ kostenlos anzubieten. Luisa Männel zieht eine gemischte Bilanz: „Wir haben mit dem kostenlosen Stream mehr Zuschauer erreicht, als es im Theater jemals möglich gewesen wäre. Das ist nicht nur ein Gewinn aus Marketingsicht. Es entspricht auch unserem gesellschaftlichen Anspruch, aktuelle Stücke wie den ‚Zauberberg‘ jetzt anzubieten – und nicht erst wenn die Theater wieder öffnen.“
Der Nachteil von kostenlosen Angeboten, so Luisa Männels Fazit nach einem Jahr, sei die hohe Fluktuation bei den Zuschauer:innen: „Wir wollen kein schnelles Klick-Erlebnis sein. Deswegen haben wir inzwischen auf kostenpflichtiges Streaming umgestellt und bieten Tickets in verschiedenen Preisstufen an. Die Zuschauer:innen können selbst entscheiden, wie viel sie zahlen wollen.“
Anke von Heyl ergänzt, dass es zum Beispiel im Gaming-Bereich kreative Finanzierungsmodelle gebe, von den sich die Kulturszene inspirieren lassen könnte – vom Abomodell bis zum Crowdfunding.
Sonderfall Museen
Während sich Theater-, Musik-, und Tanzbühnen relativ schnell in Richtung Streaming bewegt haben, gab es bei Museen deutliche Berührungsängste, berichtet die Museumspädagogin Anke von Heyl. Im ersten Anlauf hätten die Häuser vor allem auf schon vorhandene Publikumsformate gesetzt: „Oft waren das abgefilmte Führungen. Da lebt die Qualität dann von der Kamerapräsenz der Führer:in und vom Ton.“
Einige Häuser wie das Landesmuseum Herne hätten aber gezeigt, dass in Streaming-Formaten mehr Potential steckt, sagt die Museumspädagogin, die mit dem DigAMus-Award einen eigenen Preis für digitale Museumsformate entwickelt hat. Interaktive Angebote rund um die Führungen – wie Quiztools oder betreute Chats – seien zwar aufwendiger, lohnten sich aber im Hinblick auf Publikums-Reichweite.
Kultur-Streaming: Beispiele für digitale Live-Formate von Museen
Artist-Talk, Kunst-Quiz, DIY-Workshops und mehr
In verschiedenen Live-Formaten bieten Museen thematische Zugänge zum Museumsprogramm – gekoppelt an den Gang durch die analoge Ausstellungoder oder unabhängig davon:
#GoetheMoMa – Goethe Museum Düsseldorf
Live-Online-Führungen
Dialog-Führung, bei der die Moderation stellvertretend für das fragt:
Ausstellungsrundgänge des Deutschen Museum München
Beats&Bones – Podcast und Livestream am Museum für Naturkunde Berlin
Live-Gruppen-Führungen mit direkter Frage-/Kommentar-Möglichkeit für Teilnehmende:
Neben den technischen Hürden und mangelndem Austausch gebe es im Museumsbereich immer noch ideologische Vorbehalte gegenüber digitalen Angeboten, beobachtet Anke von Heyl: „Gerade Kunstmuseen setzen auf die ‚Aura der Werke‘, die angeblich nur im physischen Kontakt erlebbar ist. Mit so einem Ansatz schließt man aber zum Beispiel Menschen vom Kunsterleben aus, die nicht die Mittel haben, um durch die Welt zu reisen und berühmte Kunstwerke vor Ort zu erfahren.“
Alte Barrieren und neue Hürden
Auch für die anderen Teilnehmer:innen war Barrierefreiheit ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit Streams. Digitale Tools machen z.B. die Erstellung mehrsprachiger Untertitel und Audiodeskription einfacher als bisher, so die Erfahrung von Luisa Männel vom DT. Gleichzeitig unterstützen nicht alle marktüblichen Player die Übertragung von Untertiteln. Hier arbeitet z.B. Spectyou an einer eigenen Player-Lösung.
Durch die neuen digitalen Angebote sind die Zugangshürden z.B. für Menschen mit körperlichen Einschränkungen deutlich gesunken, sagt Anke von Heyl. Elisabeth Caesar berichtet von begeisterten Neu-Nutzer:innen, die abseits der Großstädte wohnen oder sich gemeinsam mit Freund:innen zum länderübergreifenden Streaming-Event verabreden.
Gleichzeitig schaffen die digitalen Angebote neue Zugangshürden zum Beispiel für ältere Menschen oder für die, die sich die Technik nicht leisten können, gibt Luisa Männel vom DT zu bedenken.
Streaming bleibt – Live-Theater kommt wieder
Bei aller Begeisterung für digitale Angebote: Keiner der Teilnehmenden geht davon aus, dass Streaming-Angebote den physischen Theater- oder Museums-Besuch jemals ersetzen können. Volker Bach vergleicht den Unterschied mit einem Fußballspiel: „Eine Übertragung kann den Stadionbesuch nicht ersetzen. Aber wichtig ist, die Sichtbarkeit der Angebote zu erhöhen und Lust zu machen auf das reale Erlebnis.“
Auch Luisa Männel vom DT geht davon aus, dass das Publikum ins Haus zurückkehrt – auch weil digitale Inszenierungen wie der Zauberberg sich stark von einer möglichen Bühnenversion unterscheiden: „Das sind im Prinzip zwei unterschiedliche Theaterstücke.“
Wie sich zwei verschiedene Inszenierungsformen – digital und analog – im Rahmen gleichbleibender personeller Kapazitäten realisieren lassen, bleibt jedoch als Frage offen. Gerade für kleinere Häuser stellt ein solcher Doppelbetrieb eine deutliche Mehrbelastung dar.
Anke von Heyl sieht daher künftig große Chancen für Hybridformate, in denen sich digitales und analoges Erleben ergänzen: So könnte zum Beispiel ein digitales Publikumsgespräch den Theaterbesuch vorbereiten.
Elisabeth Caesar bleibt ebenfalls optimistisch und regt schließlich an, bei der Diskussion um Streaming nicht nur an das laufende Programm zu denken, sondern auch an die Archivfunktion und eine mögliche Nachnutzung. Außerdem könnten Empfehlungsfunktionen beide Welten verbinden: „Wer zum Bespiel ein Shakespeare-Stück im Stream gesehen hat, interessiert sich vielleicht für die nächste Othello-Premiere in seiner Stadt.“
Text: Franziska Walser