Wie digitale Tools die Ausstellungsgestaltung bereichern können, erläutert Interface Designer Edmundo Galindo im Interview.
Eine Schrift, die nur noch wenige lesen können, historische Dokumente, die über zahlreiche Länder verteilt sind und Darstellungen, die heutigen Sehgewohnheiten zuwider laufen: Materielle Zeugnisse des Náhuatl-Schriftsystems erfüllen viele Kriterien von schwierig auszustellenden Museumsobjekten. Wie digitale Technologien dabei helfen können, derart komplexe Exponate dennoch zugänglich zu machen, war Thema der Abschlussarbeit von Edmundo Galindo.
Edmundo arbeitet seit Juli 2018 in der Technologiestiftung Berlin und hat Anfang 2020 eine Zusatzausbildung zum Bachelor of Arts in der Fachrichtung Interface Design an der Fachhochschule Potsdam abgeschlossen. In seiner Bachelorarbeit zeigt er am Beispiel des Náhuatl-Schriftsystems, wie digitale Technologien den Museumsbesuch im 21. Jahrhundert bereichern können. Seine Vorschläge sind natürlich auch auf andere kulturelle Zeugnisse übertragbar.
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Edmundo, bevor wir auf dein digitales Ausstellungstool zu sprechen kommen, solltest du uns das Náhuatl-Schiftsystem und die damit gestalteten Kodizes kurz vorstellen.
Edmundo Galindo: Die Texte sind auf Hirschhaut und Baumwollgewebe festgehalten, laufen oft über mehrere Meter. Der längste überlieferte Kodize ist rund 18 Meter lang. Das Schriftsystem besteht aus sogenannten Glyphen, die nicht – wie wir es gewohnt sind – von links nach rechts und von oben nach unten geschrieben sind. Selbst wenn man mit den Zeichen und Symbolen vertraut ist, findet man sich also nicht leicht zurecht.
Exponate also, die nicht einfach verständlich sind. Dein Ziel war es, eine digitale Lösung zu finden, mit der sich die Kodizes in ihrer Vielfalt vermitteln lassen. Wie bist du vorgegangen?
Zunächst einmal ist es natürlich wichtig, die Schriftstücke in ihrer Länge und in ihrer Komplexität darzustellen. Die Besucher*innen sollen die langen Objekte – das von mir untersuchte Exemplar ist 14 Meter lang – ablaufen und betrachten können. Das kennt jeder aus dem Museum: An der Wand hängt ein Exponat oder die Kopie eines Exponats. Im analogen Museum sind daneben Informationen wie der Titel, die Entstehungszeit und der Fundort angebracht. Vielleicht kann man sich über einen Audioguide noch ein paar Informationen zusätzlich abrufen. An diese etablierte Form der Präsentation habe ich angeknüpft und sie funktional erweitert.
Welche spezifische Lösung hast du schließlich gefunden?
Angelehnt an die bekannten Ausstellungssituationen habe ich einen 14 Meter langen Monitor genutzt, auf dem der digitalisierte Kodex in voller Länge zu sehen ist. Er ist an der Wand angebracht und wird durch einen Multitouch-Table ergänzt. Letzterer besitzt ein von mir entworfenes Interface, das Besucher*innen dabei hilft, sich den Kodex selbst zu erschließen. Hier kann man unbegrenzt Bildansichten abrufen: Digitalisate von Einzelabschnitten des Originalexponats aus dem British Museum wurden von mir hierzu aufbereitet und verknüpft. Das entstandene digitale Duplikat erlaubt es, auch Detailansichten des Kodex originalgetreu in verschiedenen Größen anzuschauen, zu drehen und zu bewegen. Während des Besuchs können gesammelte Daten bzw. Inhalte und Informationen kollaborativ über Input- und Output-Tools unter den Besucher*innen geteilt, ergänzt, gespeichert und für eigene Zwecke nachhaltig studiert werden. Overlays zeigen umfangreiche oder versteckte Informationen über mehrere Ebenen an. Diese können einzeln, nacheinander angeschaut oder über eine Audio-Videofunktion dargestellt werden.
Das Designkonzept beinhaltet zudem eine Vernetzung von analogen und digitalen Objekten. Ihnen werden Funktionen zugeordnet, mit denen Interaktionsmöglichkeiten und Verknüpfungen ermöglicht werden. Im Falle des Multitouch-Tables kann ein Faksimile des Kodex auf die Oberfläche des Tisches gelegt werden. Über eine Synchronisierungstechnologie wie „Object Recognition“ werden Funktionen und Features gleichzeitig aktiviert. Die Museumsbesucher*innen können somit unterschiedliche Ansichten einer einzelnen Seite sehen oder alternativ sich die gesamte Länge eines Kodex erklären lassen.
Museumsbesucher*innen werden so mehrschichtige Zugänge zu Exponaten angeboten, um sie spielerisch zu Exploration zu motivieren. Ganz nebenbei werden so Informationen vermittelt. Interaktionen eröffnen die Möglichkeit, sich entweder oberflächlich oder detailliert mit einem Artefakt zu beschäftigen. So lassen sich beispielsweise in einem ersten Schritt Angaben und Beschreibungen des physischen Kodex anzeigen. Besucher*innen können detailliertere Informationen über die interaktive Installation recherchieren und die gefundenen Ergebnisse miteinander kombinieren.
Warum war dir eine Vielfalt an Interaktionsmöglichkeiten wichtig?
Die Vorteile einer interaktiven Installation im musealen Kontext sind vielschichtig. Interaktive Medien bieten ein enormes Potential, weil durch umfangreiche Funktionen Angebote zielgruppengerecht definiert, konzipiert und implementiert werden können. Verschiedene Zielgruppen können über personalisierte Ansichten und Darstellungsformen Objekte und Artefakte besuchen, betrachten, untersuchen und mit unterschiedlichen Inhalten versorgt werden.
Die Interaktion der Besucherinnen mit den Objekten regt die individuelle Auseinandersetzung und den Wissenserwerb an. Somit ist in diesem Fall die Gamification als Werkzeug richtig am Platz. Durch die subliminale Aufforderung zum aktiv Mitmachen und Mitgestalten wird nicht nur Interesse geweckt. Der Informationsgewinn und die Besucherinnenanbindung an Museen werden ebenfalls gestärkt. Maßgeblich hierfür sind aber Faktoren wie Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und gute User Experience, die auch für interaktive Installationen in musealen Kontexten greifen. In diesem Zusammenhang wird das Besuchserlebnis im Museum qualitativ erhöht und gleichzeitig werden Zielgruppen von diesem Besuchskomfort angesprochen und angezogen.
Eine Ausblendfunktion hilft Betrachter*innen das Schriftsystem besser zu erkennen und die Leserichtung nachzuvollziehen.
Vielen Kulturinstitutionen fällt es angesichts begrenzter Ressourcen schwer, dem veränderten Rezeptions- und Lernverhalten ihres Publikums gerecht zu werden. Wie können sie in der schnellen Taktung digitaler Innovationen bestehen?
Ja, digitaler Wandel ist teuer, Investitionen sind nötig und können angesichts des rasanten technologischen Wandels als Fass ohne Boden betrachtet werden. Viele Institutionen haben allerdings bereits erkannt, welches Potential in digitalen Technologien und Methoden für ihre Arbeit steckt. Die Aufgabe besteht eher darin, Kulturinstitutionen dazu zu befähigen, die für sie passenden technologischen Lösungen zu identifizieren und nachhaltig einzusetzen.
Entscheidend ist die sinnvolle inhaltliche Verknüpfung mit einem Thema, das durch die Technologie anders erfahrbar wird. Ohne eine thematisch-inhaltliche Verknüpfung würde die digitale Technologie zum reinen Selbstzweck. Im Mittelpunkt stehen aber die Nutzer*innen mit ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen, die durch neue Medien und Plattformen erfüllt werden sollen. Gelingt es den neuen Technologien nicht, dieses Ziel zu erfüllen, wird ihre Anwendung obsolet.
Bei meiner Arbeit im Projekt kulturBdigital der Technologiestiftung Berlin stand genau das im Fokus: Gemeinsam mit zahlreichen Kulturakteur*innen haben wir in Workshops verschiedene Einsatzszenarien für digitale Tools ausgelotet, Probleme bei der Umsetzung analysiert und Ideen für digitale Angebote entwickelt. Dieser Dialog auf Augenhöhe war auch für mich als Interface Designer extrem lehrreich: Ich konnte ein breites Spektrum an Sammlungen kennenlernen und erfahren, wie Museen im Innern arbeiten. Der Weg in die digitale Zukunft von Museen ist für mich ganz klar interdisziplinär.
Interview: Frauke Nippel, Silvia Faulstich