Wie hat sich die Coronakrise auf die digitale Entwicklung im Kulturbereich ausgewirkt? Und wie können Open-Source-Software und innovative Verwaltungen den digitalen Wandel beschleunigen? Diese und andere Fragen kamen am 15. Januar 2021 beim ersten Online-„Frühstückstalk“ der Technologiestiftung im kulturBdigital Lab auf den Tisch.
Wie die meisten Gespräche der jüngeren Vergangenheit – sei es im privaten oder im professionellen Leben – beginnt auch der erste kulturBdigital-Frühstückstalk mit der Corona-Pandemie. Denn: Nicht nur im Gesundheitswesen, erklärt Moderatorin Maj-Britt Jungjohann, sondern auch und gerade im Kulturbereich habe sich die Krise längt bemerkbar gemacht – und dass nicht nur darin, dass auch diese Veranstaltung einmal mehr als Videokonferenz stattfinde, sondern auch ganz allgemein:
Ist Home-Office ein Recht oder eine Pflicht? Gibt es in Kultureinrichtungen genug Knowhow, um große Online-Events selbst aufzusetzen? Und wie kann die Verwaltung hierbei unterstützend wirken? All diese Fragen seien für Kulturschaffende zwar schon vor der Pandemie dringlich gewesen. So richtig in den öffentlichen Diskurs und das Bewusstsein der Bürokratie hätten sie es jedoch erst in den letzten Monaten geschafft, so Jungjohann.
Geteilte digitale Infrastruktur: ‚Gieß den Kiez‘ als Positivbeispiel
Für den heutigen Veranstaltungsgast, Dr. Benjamin Seibel, steht das Thema Digitalisierung schon seit Jahren auf der Agenda. Als Leiter des Bereichs Ideation & Prototyping und des CityLAB bei der Technologiestiftung ist er dafür verantwortlich, Stadtgesellschaft, Verwaltung und Forschung zusammenzubringen. Das Ziel: Die digitale Zukunft Berlins zu konzipieren und Smart City-Lösungen für die Stadt zu entwickeln.
Mit der Frage, wie es um den digitalen Ausbau in der Zivilgesellschaft bisher bestellt ist und mit welchen Strategien er sich am besten vorantreiben lässt, beschäftigt Seibel sich tagtäglich. Zum einen sei es dabei erstaunlich, wie viel technisches Knowhow sich beispielsweise Schulen und Kultureinrichtungen in den letzten Monaten und Jahren bereits auf Eigeninitiative selbst angeeignet hätten, so Seibel. Zum anderen bestehe aber gerade bei der Verstetigung und der öffentlichen Förderung von den oft ehrenamtlich betriebenen Projekten noch Nachholbedarf.
Ein Positivbeispiel dafür, wie die Zusammenarbeit zwischen der Berliner Senatsverwaltung, der Forschung beziehungsweise Technologiebegeisterten und der Zivilgesellschaft in Zukunft funktionieren könnte, ist für Seibel das Projekt ‚Gieß den Kiez‘. Hierbei hat das CityLAB mithilfe von offenen Datensätzen der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die Website giessdenkiez.de erstellt, auf der sich Bürger*innen darüber informieren können, welche Stadtbäume gegossen werden müssen.
Mit mehreren Tausenden Nutzer*innen ist die Seite mittlerweile ein voller Erfolg. Möglich gemacht habe das die Kooperation zwischen Seibels Team und der Stadtverwaltung sowie ganz viel Engagement und Hingabe. Gleichzeitig räumt Seibel jedoch auch ein: „Dass es bei der Umweltverwaltung einen so großen und vollständigen Datensatz gibt, den wir für ein Projekt direkt nutzen können, ist eher die Ausnahme.“ Zudem mangele es innerhalb der Stadtverwaltung in jedem Fall noch an digitaler Kompetenz.
Behördliche Barrieren
Diesem Problem ist sich auch Martin Delius von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa bewusst, der unter den Gästen der Veranstaltung ist. „Gerade bei der zentralen Infrastruktur, die das gesellschaftliche Engagement unterstützen muss, sind wir noch zehn Jahre hinterher“, so Delius: „Dazu gibt es eine ganze Reihe von gesetzlichen Vorgaben, die uns in der Wahl von Projektpartner*innen stark einschränken“. Hier komme es vor allem darauf an, in Zukunft bessere und schnellere Lösungen für das Gemeinwohl zu finden und „Diversity und Digitalisierung“ auch innerhalb der Behörden zu fördern. Dazu brauche es zu dem Thema digitaler Wandel mehr „Klartext von der Verwaltung“ und vor allem auch mehr „kreative Bürokraten“ an den Schaltstellen. Künftig müsse man zudem darauf achten, nicht nur „massig Geld auf Hardware zu verwenden“, sondern auch die Nutzbarmachung der Technik und die Entwicklung von digitalem Knowhow entsprechend finanziell zu fördern.
Gleichzeitig, so betont Benjamin Seibel, dürfe neben diesem Aspekt der öffentlichen Förderung jedoch auch nicht vergessen werden, mit entsprechenden Initiativen das Digital-Mindset innerhalb der Zivilgesellschaft und insbesondere des Kultursektors zu fördern. „Einfach mal in ein digitales Projekt einzutauchen, kann ja auch Berührungsängste abbauen“, so Seibel: „Das einfache Outsourcing von Projekten ist deshalb oft der falsche Weg, weil es die Berührungsängste mit der Technik nicht abbaut“.
Ähnlich gehe das Team des CityLAB derzeit auch an die Herausforderung heran, das Open-Source-Webkonferenzsystem „BigBlueButton“ für Vereine und Kulturinstitutionen zur Verfügung zu stellen und den Umgang mit der Software zu fördern. Laut Seibel seien solche Projekte dann nicht direkt ein „Serviceangebot“, sondern „gerade auch eine Lernerfahrung für alle Beteiligten“.
Insbesondere vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass sich Kulturschaffende – eben so wie beim Frühstückstalk der Technologiestiftung – miteinander vernetzen und Digitalisierungserfahrungen aus verschiedenen Sparten austauschen, so Seibel.
Bei der Frage, ob man sich bei Digitalisierungsprojekten eher auf Open-Source-Software oder auf die Angebote großer kommerzieller Anbieter*innen stützen sollte, sind sich derweil die meisten Gäste am digitalen Frühstückstisch einig. Benjamin Seibel bringt die Antwort so auf den Punkt: „Open-Source ist meistens besser als proprietär, aber proprietär ist oft besser als gar nichts. Da nützt es nichts, dogmatisch zu sein.“
Arbeit an den Basics
Bei meisten den Gästen des Frühstückstalks sind die dringlichsten Fragen zur Digitalisierung in Zivilgesellschaft und Kulturbereich währenddessen vor allem grundlegender Natur. Was ist das beste Videokonferenzsystem? Wie benutzt man eine Cloud? Gibt es genug Arbeitsplätze für die digitale Umstellung – und ist überhaupt genug technisches Equipment vorhanden, um alle Mitarbeiter*innen zu versorgen?
Oft hapere es an Berliner Arbeitsplätzen noch an den „Basics“ für das digitale Arbeiten, so die einhellige Meinung. Zwar habe die Coronakrise hier mittlerweile für ein Umdenken gesorgt. Nachhaltige Lösungen seien mitunter jedoch trotzdem an vielen Arbeitsplätzen noch nicht gefunden worden.
Benjamin Seibel sieht hier auch ein Versäumnis in der Herangehensweise der Politik. „Oft werden Förderprogramme zu hochtrabenden Ideen wie Blockchain oder künstlicher Intelligenz aufgesetzt, bevor überhaupt die digitalen Grundlagen funktionieren“. Vielleicht, so Seibel, müsse man deshalb in Zukunft auch einmal wieder an den Leitspruch „No more innovation, until everything works!“ denken.
Ein Gast der Veranstaltung merkt dazu abschließend an, dass der Stand der Digitalisierung auch immer eine „Mileufrage“ sei: „Die finanziellen Möglichkeiten der Einrichtungen sind einfach unterschiedlich und auch die digitale Kompetenz ihres Publikums hängt oft vom sozialen Hintergrund ab.“ Und noch ein Problem sei in Sachen Digitalisierung für die kommenden Jahre nicht zu unterschätzen: „Die nachfolgenden Generationen sind zwar Digital Natives, aber auch eher ‚User‘. Bei vielen Menschen – so beobachten einige Gäste im Frühstückstalk – lässt die Begeisterung für die Technik heute eher nach – und die digitale Kompetenz und Verantwortung wird an Großunternehmen abgegeben“.
Text: Kai Schnier