Es gibt viele gute Gründe, Wissen und Arbeitsabläufe zu dokumentieren. Aber wie überzeugt man Vorgesetzte und Kolleg:innen davon? Welches Tool ist das passende und wie richte ich es ein? Wir skizzieren, wie ihr den „Handbook first“-Ansatz in eurer Organisation umsetzen könnt.
Dieser Text basiert auf einem Vortrag, den Liga Megne bei unserem Methoden-Café ‚Wissen teilen‘ im März 2023 gehalten hat. Als Resilienz-Dispatcherin hat Liga den „Handbook first“-Ansatz beim Musicboard Berlin neu eingeführt. Schon auf der kulturBdigital-Konferenz 2022 berichtete sie davon. Hier geht’s zum Konferenz-Video.
Einführung
Anekdoten aus dem Arbeitsalltag: Mehrere Stunden hat eine Teilnehmerin des kulturBdigital-Methoden-Cafés „Wissen teilen“ zuletzt mit der Einrichtung einer Rufumleitung zugebracht. Stunden! Eine vermeintlich kleine Aufgabe, die aber viel Zeit fressen kann, wenn man sich allein durchbeißt und die Schritte nirgendwo dokumentiert sind.
Eine andere Kulturschaffende musste sich als Volontärin alle für ihren Einstieg wichtigen Informationen bei verschiedenen Kolleg:innen zusammensammeln. „Man findet die Lösung irgendwie, aber es ist nicht effizient“, sagt sie. Aus ihrer Sicht handelt es sich bei der Einstellung zur Dokumentation von Arbeitsabläufen auch um einen Generationenkonflikt: „Das Bewusstsein dafür ist eher bei den jüngeren Kolleg:innen vorhanden, die diese Umstände vorgefunden haben. Wir möchten das Wissen für unsere Nachfolger:innen besser aufbereiten.“
Was also tun, wenn auch ihr festgestellt habt, dass Dokumentation als erstes Prinzip der Zusammenarbeit (Handbook first) viele eurer Probleme lösen könnte? In diesem Artikel erfahrt ihr, wie ihr erst eure Kolleg:innen davon überzeugt, indem ihr gemeinsame Ziele definiert und dann ein Dokumentations-Tool findet, das sich für eure Zwecke eignet.
“Handbook first” kurz erklärt
Beim „Handbook first“-Ansatz werden das gesamte im Team oder einer Organisation vorhandene Wissen, sämtliche Workflows und Verantwortlichkeiten, alle neuen Lösungswege und Entscheidungen an einem zentralen Ort (dem digitalen Handbuch) festgehalten. Alle Mitarbeitenden können auf diese Quelle zugreifen.
Sobald sich etwas ändert oder es eine neue Entscheidung gibt, wird das zuerst (Handbook first) an diesem Ort notiert und dann mit den Kolleg:innen geteilt. Wenn es einmal ein Problem gibt, schlägt man wiederum zuerst im Handbuch nach, bevor man Kolleg:innen nach Hilfe fragt.
1. Gemeinsame Ziele finden
Ein Dokumentationstool einzuführen ergibt nur Sinn, wenn es eines oder mehrere Probleme löst und auf lange Sicht die Arbeit erleichtert. An erster Stelle steht deshalb ein Analyseprozess, bei dem ihr im Austausch mit der Leitung oder dem gesamten Team Probleme ermittelt, die durch Dokumentationsroutinen gelöst werden können.
Als sie den „Handbook first“-Ansatz beim Musicboard Berlin einführen wollte, konnte Liga Megne zusammen mit dem Team folgende Ziele ermitteln:
- Strukturierte Übergaben gewährleisten, um das Wissen ausscheidender Kolleg:innen für ihre Nachfolger:innen zu sichern
- Unkomplizierte Einweisung von externen Mitarbeiter:innen in Arbeitsabläufe, Werte und Verhaltensregeln – beispielsweise im Rahmen von Festivals
- Steigerung der Zufriedenheit im Team, wenn Neuigkeiten zentral und für alle einsehbar weitergegeben werden
- Optimierte Arbeitsabläufe durch weniger Unsicherheit und Nachfragen
Umgesetzt werden sollten diese Ziele durch die Einrichtung einer zentralen Web-Anwendung (in diesem Fall Gitbook), in der Arbeitsabläufe und Richtlinien dokumentiert werden.
2. Die Kolleg:innen an Bord holen
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Um eingeschliffene Arbeitsroutinen aufzubrechen, sind gemeinsame Ziele deshalb nur die halbe Miete. Wenn ihr Dokumentation als erstes Prinzip der Zusammenarbeit etablieren möchtet, braucht ihr einflussreiche Mitstreiter:innen, die über den gesamten Prozess der Einführung an eurer Seite bleiben.
2.1 Eure Cheerleader:innen finden
Die wichtigsten Verbündeten findet ihr in der Leitungsebene eurer Organisation. Eure Vorgesetzten sollten euch stets Rückendeckung geben, wenn es darum geht, die Einführung von Dokumentationsroutinen zu begründen oder zu verteidigen. Dafür müssen sie die eingeführten Tools gar nicht selbst intensiv nutzen, sondern vor allem davon überzeugt sein, dass sie die Arbeitsprozesse nachhaltig verbessern werden. Das Projekt ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Leitung sich dagegenstellt oder unentschlossen wirkt. Das solltet ihr ihr sagen.
Weitere wichtige Mitstreiter:innen findet ihr unter besonders erfahrenen, beliebten oder meinungsstarken Kolleg:innen. Sie haben großen Einfluss auf die Stimmung im Team und können eurem Vorhaben als „Cheerleader:innen“ den nötigen Schwung geben. Ihren Bedenken solltet ihr deshalb besonders aufmerksam lauschen.
Das ergibt gleich doppelt Sinn. Wissenstransfer kann nur gelingen, wenn sachkundige Mitarbeiter:innen bereit sind, ihr Wissen aufzuschreiben. Macht euren auserwählten Verbündeten ihren Einfluss bewusst: „Was du sagst, das glauben die Leute“ ist ein Satz, den man gerne hört und der anspornt.
2.2 Überzeugungsarbeit leisten
Zweifel entstehen oft, weil die Dokumentation von Arbeitsabläufen zunächst vor allem viel Zeit frisst. Der Nutzen hingegen wird meist erst nach einigen Monaten spürbar. Macht euren Kolleg:innen klar: Was sie einmal aufgeschrieben haben, müssen sie nie wieder erklären. Sie werden ungestörter ihrer Arbeit nachgehen können, weil seltener jemand in der Tür steht und sie um Hilfe bittet.
Wenn eure Kolleg:innen plötzlich aufschreiben sollen, wie sie Dinge tun, fühlen sie sich außerdem vielleicht bei vermeintlich schlechten Lösungen ertappt. Nehmt ihnen diese Angst. Gut ist erstmal das, was bisher funktioniert hat. Das gilt es festzuhalten. Für Verbesserungen ist später noch Zeit.
Schickt eure auserwählten Verbündeten und später auch das gesamte Team auch auf die Suche nach Situationen, in denen eine Anleitung oder andere Arten von Dokumentation hilfreich gewesen wären und besprecht diese im Anschluss gemeinsam. Wer auf eigene Faust Argumente für euer Vorhaben findet, wird es noch motivierter unterstützen.
Natürlich kann es sehr aufwendig sein, Anleitungstexte zu schreiben – gerade, wenn es um Software oder komplexe Prozesse geht. Kurze Video-Tutorials können hier Abhilfe schaffen.
Lesetipp
Video-Tutorials mit einfachen Mitteln und ohne Kostenaufwand erstellen:
3. Das passende Tool finden
Ihr habt Chef:in, Abteilungsleiter:innen und Wortführer:innen an der Angel? Dann geht es jetzt darum, die Kriterien zu definieren, nach denen ihr euer Tool auswählt. Hierfür solltet ihr euch über funktionale und nichtfunktionale Anforderungen bewusstwerden, die es erfüllen soll.
Funktionale Anforderungen betreffen die Art und Weise, wie ihr mit dem Tool arbeiten möchtet. Also zum Beispiel die Bedienungsfreundlichkeit, die Struktur, in der Wissen abgelegt werden kann, die Formate, in denen Dokumente exportiert werden können oder die Möglichkeiten, diese mit Externen zu teilen. Wenn euer Team nicht aus digitalen Vollprofis besteht, solltet ihr das Thema Bedienungsfreundlichkeit besonders ernst nehmen, damit die Schwelle zur Nutzung möglichst niedrig ist. Einige Tools sind zudem für kleinere Teams, andere für größere ausgelegt.
Nichtfunktionale Anforderungen ergeben sich aus eurer bisherigen technischen Arbeitsumgebung. Hier geht es vor allem darum, ob das genutzte Tool mit euren bisher genutzten Systemen und Anwendungen kompatibel ist. Zieht hierfür am besten eure IT-Abteilung oder kundige Kolleg:innen zu Rate.
Tool-Check: Das unterscheidet GitBook, BookStack, Confluence und Nuclino.
Für den Auswahlprozess beim Musicboard Berlin hat Liga Megne wichtige Eigenschaften einiger Tools recherchiert:
- Wissensstruktur bzw. Gliederungsarten für Informationen
- Exportformate für eure hinterlegten Inhalte
- Teilen mit Externen / Personen außerhalb eurer Institution / eures Teams
- Vor- und Nachteile rund um die Einfachheit der Benutzung, Sprachoptionen, Individualisierung von Layouts, etc.
Natürlich könnt ihr hier noch weitere Kriterien mit einbeziehen, beispielsweise Datenschutz oder die Anzahl von Lizenzen, die ihr angeboten bekommt, damit ausreichend viele eurer Kolleg:innen mit eigenen Accounts arbeiten können. Auch Angaben zu den Kosten haben wir an dieser Stelle ausgelassen, da sie schnell veralten.
GitBook
mögliche Wissensstruktur: Organisation > Collection > Sub-Collections > Spaces > Groups > Pages> Sub-Pages
Exportierbare Formate: PDF
Teilen mit Externen
– alles teilen (über öffentliche, ungelistete oder direkte Links)
– Teilen einzelner Seiten, Spaces oder Collections möglich
Vorteile
– Einfacher Editor
– Einfaches Teilen von Inhalten aller Ebenen mit Externen
– Sehr populäre Anwendung. Sieht zeitgemäß aus, wenn veröffentlicht.
– Bieten Rabatte für NGOs, Möglichkeit über den Preis zu verhandeln.
Nachteile
– Umsortieren von Seiten zwischen Spaces ist nur schwer möglich.
– Teilweise an IT angelehnte Bezeichnungen, die man lernen muss (z.B. Change Request).
BookStack
mögliche Wissensstruktur: Shelves > Books > Chapter
Exportierbare Formate: Markdown, Plain Text File (txt), PDF, HTML
Teilen mit Externen: Es wird alles oder nichts geteilt.
Vorteile
– Deutschsprachige Nutzer:innen-Oberfläche
– Einfacher Editor.
Nachteile
– Tool muss von Nutzer:innen selbst gehostet werden.
– Es kann nur der ganze Bereich freigegeben werden und nicht einzelne Seiten oder Gruppen.
Confluence
mögliche Wissensstruktur: Bereiche > Seiten > Unterseiten
Exportierbare Formate: Word, PDF
Teilen mit Externen: Es können einzelne Seiten oder Bereiche geteilte werden.
Vorteile
– Deutschsprachige Nutzer:innen-Oberfläche
– Diverse Layout-Möglichkeiten.
Nachteile
– Etwas komplizierter Editor, erfordert Lernphase.
– Kompliziert in der Verwaltung.
Nuclino
mögliche Wissensstruktur: Workspace > Cluster > Item
Exportierbare Formate: Markdown, MS Word, PDF
Teilen mit Externen: Einzelne Items können via Link geteilt werden, Cluster nicht.
Vorteile: Sehr einfacher Editor und einfaches Layout.
Nachteile: Weniger umfangreiche Möglichkeiten für Gestaltung und Gruppierung von Artikeln.
Einen Tipp von Liga wollen wir euch aber nicht vorenthalten: Open Source-orientierte Unternehmen wie GitLab bieten ihre Produkte für Non-Profit-Organisationen auf Nachfrage häufig günstiger oder sogar kostenlos an. GitBook war auch das Tool, für das sich Liga und ihr Team entschieden haben.
Wenn ihr eure persönliche Tabelle zusammenrecherchiert habt, spielt sie unbedingt zurück an eure Kolleg:innen. Gebt ihnen etwas Bedenkzeit und entscheidet euch dann nach einem gemeinsamen Meeting für ein Tool. So beugt ihr auch späteren Beschwerden vor.
Tools wie GitBook oder BookStack sind nur eine Möglichkeit, Wissensmanagement zu betreiben. Ein anderer Ansatz, das Social Intranet, setzt hierfür auf stetige Kommunikation in Forenstrukturen.
Lesetipp
Social Intranet: Erfahrungen aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Welcome New Work! Wie verändern wir den Raum für digitale Zusammenarbeit
4. Das Tool nach euren Bedürfnissen einrichten
Wenn ihr euch für ein Tool entschieden habt, geht es ans gemeinsame Gestalten der Nutzung. Je nach Größe eurer Organisation bietet es sich an, das Tool bereits mit erfahrenen Kolleg:innen und Abteilungsleiter:innen zu erkunden, bevor ihr es in einem größeren Workshop dem gesamten Team vorstellt. Es kann Orientierung schaffen, wenn einige der wichtigsten Fragen schon in einem kleinen Kreis geklärt und darauf aufbauend grobe Strukturen im Tool geschaffen wurden. Einige wichtige Fragen sind:
Was ist das geschäftsrelevante Wissen? Bei welchen Arbeitsabläufen oder Sicherheitsmaßnahmen ist es besonders wichtig, dass sie für alle sichtbar hinterlegt werden? Behaltet hierbei immer im Blick, dass Dokumentation kein Selbstzweck ist, sondern vorhandene Probleme lösen soll.
Welche Wissensbereiche gibt es in eurer Organisation? Das können zum Beispiel sein: Projekte, Abteilungen und Teams, Führungsaufgaben, Methodenwissen oder Prozesswissen, Problemlösungen und Ablagesysteme für Mediendateien.
Wie soll das Wissen gegliedert werden – nach Abteilung oder nach Arbeitsprozessen? Wenn viele Abteilungen an ähnlichen Dokumenten arbeiten, sollten die Vorlagen an einem abteilungsübergreifenden Ort liegen. Liga Megne empfiehlt eine Dokumentenstruktur, die sich eher an Arbeitsabläufen als an Abteilungen orientiert.
Wer soll was bis wann dokumentiert haben? Klare Verantwortlichkeiten sind das A und O, um die Dokumentationsroutine ans Laufen zu bekommen. Diesen Punkt klärt ihr am besten bei einem großen Team-Workshop.
Was muss wirklich neu gemacht werden – und was nicht? Nur, weil ihr ein schickes, neues Tool einführt, muss nicht alles bei euch schick und neu werden. Existierende und funktionierende Daten- und Ablagesysteme und Anleitungen dürfen erhalten bleiben und durch Links ins neue System integriert werden. Auch hier gilt immer: Dokumentation soll nicht schick, sondern lösungsorientiert sein.
Das Tool ist eingeführt – und nun?
Dokumentation ist ein iterativer, nie vollends abgeschlossener Prozess. Sie schärft den Blick und macht immer wieder neue Optimierungspotentiale sichtbar. Vereinbart deshalb im Anschluss an eure Einführungs-Workshops unbedingt Folgetermine, um regelmäßig über den Stand eures Vorhabens zu sprechen, neue Ziele zu vereinbaren und jene wieder an Bord zu holen, die vielleicht zwischendurch abgesprungen sind. Zum Beispiel nach einem Monat, nach drei Monaten und nach einem halben Jahr.
Und keine Sorge: Auch bei diesen Terminen wird es genug zu besprechen geben. Vielleicht haben sogar gerade jene Kolleg:innen spannende neue Vorschläge, die der Sache am Anfang kritisch gegenüberstanden.
Vortrag und Recherche: Liga Megne
Text: Thorsten Baulig