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Streaming statt Live-Aufführung, Digitale Showrooms statt Ausstellungen – die Pandemie verändert die Kulturszene. Das ist auch eine Chance – denn jetzt können Zielgruppen mitgedacht und erreicht werden, die zu den bisherigen Kulturangeboten nur eingeschränkten Zugang hatten.
Rund 10 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen und braucht für die kulturelle Teilhabe Hilfestellungen. Das bedeutet im Fall von analogen Spielstätten zum Beispiel Rollstuhlrampen oder Übertitelung. Aber auch im digitalen Raum gibt es Zugangshürden, zum Beispiel wenn es darum geht den Spielplan zu lesen oder Tickets zu buchen. „Wie können digitale Tools dabei helfen, Kulturangebote barrierefrei zu gestalten?“ unter dieser Fragestellung stand ein Workshop von kulturBdigital, zu dem 92 Kulturschaffende aller Sparten per Videokonferenz zusammenkamen. Präsentiert wurden dort die Erfahrungen des Projekts „KuDiBa – Kultur Digital Barrierefrei“.
KuDiBa hat mit Mitteln aus dem Förderprogramm der Senatsverwaltung für Kultur und Europa zur „Digitalen Entwicklung im Kulturbereich“ unter anderem einen Hackathon veranstaltet, bei dem digitale Tools für mehr Barrierefreiheit entwickelt wurden.
Das vergessene Publikum
„Das vergessene Publikum“ nannten die Projektleiter Thorsten Hesse (Handiclapped e.V.) und Matthias Strobel (MusicTech Germany e.V.) ihren Vortrag – eine treffende Beschreibung des Status Quo, nicht nur in der Kulturszene. Dabei sei kulturelle Teilhabe nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern ein Grundrecht sagt Matthias Strobel. Im Moment hätten Menschen mit Behinderungen keine starke Lobby, aber es wäre theoretisch denkbar, dass Kulturveranstalter:innen verklagt werden, weil sie keine barrierefreien Zugänge anbieten.
Barrierefreiheit müsse zwar ohnehin als selbstverständlich und ohne spezifische Motivationen erstrebenswert gelten, doch gibt es auch diverse Vorteile für die Veranstaltenden und anderen Teilnehmenden.
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Aus England, wo es mit der Organisation Attitude is everything eine starke Lobby für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gibt, hat eine Studie gezeigt, dass Veranstalter:innen auch finanziell profitieren, wenn sie in Barrierefreiheit investieren, sagt Strobel: „Die Veranstaltungsorte konnten ihren Umsatz deutlich steigern. Es lohnt sich also, diese fehlenden 10 Prozent des Publikums anzusprechen“. Ein weiterer – eher immaterieller Grund – ist die Vielfalt des Publikums, die dazu beiträgt z.B. Konzerte und Theater zu einem echten Ort der Begegnung zu machen.
Digitale Hürden auf dem Weg zum Kulturerlebnis
Bis dahin ist noch viel zu tun. Das zeigt eine Bedarfserhebung von KuDiBa, in der Menschen mit Behinderungen angeben konnten, was sie brauchen, um an kulturellen Angeboten teilzunehmen. Identifizierte Herausforderungen sind:
- Zugang zu Eintrittskarten
- Zugänglichkeit von Veranstaltungsorten
- Fehlende Begleitperson
- Orientierung bei Veranstaltungen
- Zugang zu Informationen über Veranstaltungen
Als digitale Hürde wurde dabei häufig das Thema Ticketing genannt. Zum Beispiel gibt es oft keine Möglichkeit im Buchungsfenster rollstuhlgerechte Plätze, Begleiter:innen-Tickets oder einen Zugang für den Blindenhund anzufragen. In dem Hackathon von KuDiBa wurde ein prototypischer Online-Fragebogen entwickelt, in dem solche Angaben einmal erfasst und dann datenschutzkonform an die Kulturinstitution übermittelt werden können. Denn noch fehlt es vielen Websites an Möglichkeiten, diese Angaben z.B. über ein Bemerkungsfeld einzugeben. Eine einfache Überbrückungsmöglichkeit für Veranstalter:innen wäre eine konkrete Ansprechpartner:in für Fragen der Barrierefreiheit zu benennen – und sicherzustellen, dass die Angaben im Haus weitergegeben werden. Auch eine eigene Rubrik auf der Website, die z.B. auf übertitelte Aufführungen hinweist, ist hilfreich. Noch sind solche Aufführungen eher die Ausnahme, aber dank smarter Transkriptionsprogramme sei der Arbeitsaufwand stark gesunken, ergänzen Matthias Strobel und Thorsten Hesse.
Eine weitere digitale Hürde sind die Veranstaltungstexte und Kalender auf Kultur-Websites. Die mit Fremdwörtern und Adjektiven gespickten Ankündigungen sind für Menschen mit geistigen Einschränkungen schlicht unlesbar. Eine Version in einfacher Sprache kann da Abhilfe schaffen und ist mit digitaler Unterstützung z.B. durch ein Sprachtool schnell umsetzbar. Nebenbei verbessert der doppelte Text die Suchmaschinenplatzierung der Website, sodass auch die Spielstätte davon profitiert. Eine weitere Herausforderung sind Kalenderformate, die mit digitalen Lesehilfen für Blinde schlecht auslesbar sind. Auch hier kann eine zweite, Screenreader-optimierte Version des Spielplans Sinn machen.
KuDiBa-Ergebnisse: Hilfsmittel für den Abbau von Barrieren
WingBuddy: Ein System, das es Menschen mit Beeinträchtigungen erleichtert eine Begleitung für den Besuch von Kulturveranstaltungen zu finden und es interessierten Freiwilligen ermöglicht sich als potentielle Begleitung zu registrieren. Code auf GitHub
EasyLingo soll Veranstaltungstexte automatisch in “Leichte Sprache” umsetzen. Die Browser Extension basiert auf dem Schreibassistenten “Lanuage Tool” und übersetzt die Texte auf Websites für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. EasyLingo auf GitHub
Ticket für Alle soll es ermöglichen, Bedarfe in einem barrierefreien Formular einmalig zu erfassen und anonymisiert auf einer Website zu speichern. Über eine Linkzusendung können Menschen mit Beeinträchtigung Veranstalter:innen bereits beim Ticketkauf informieren. Prototyp auf GitHub
KuDiBa-Verzeichnis von über 130 digitalen Hilfsmitteln, die heute schon verfügbar sind, um mehr Barrierefreiheit herzustellen. Die Sammlung bietet Links und eine Übersicht über Einsatzgebiet, Kosten und Technologie der jeweiligen Tools. Verzeichnis auf Google Docs
Leitfäden-Sammlung mit Links zu verschiedenen Checklisten und Handreichungen rund um die Planung und Durchführung barrierearmer Veranstaltungen. Sammlung auf Google Drive
Besser kleine Schritte als nie realisierter Masterplan
Thorsten Hesse und Matthias Strobel raten allen Kulturveranstalter:innen, die sich mit dem Thema befassen wollen, Menschen aus der Zielgruppe von Anfang an mit einzubeziehen: „DIE eine Lösung für Barrierefreiheit gibt es genauso wenig, wie DEN Menschen mit Behinderung“, sagt Matthias Strobel – „auf manche Sachen kommt man selbst gar nicht.“
Die beiden Referenten machen den Teilnehmer:innen des Workshops Mut, das Thema Barrierefreiheit ruhig Schritt für Schritt anzugehen: „Vieles lässt sich an einem Wochenende umsetzen. Schon kleine Änderungen – wie z.B. die Möglichkeit, den Kontrast auf der Website einzustellen oder Infos zu barrierefreien Anfahrtsmöglichkeiten mit dem ÖPNV – bringen für die Betroffenen große Erleichterungen.“
Der digitale Raum bietet hier nicht nur viele nützliche Tools, sondern auch einen dankbaren Startpunkt für mehr Inklusion. Schließlich lässt sich eine Website leichter umbauen als eine Rollstuhlrampe an einem denkmalgeschützten Gebäude.
Text: Franziska Walser