Culture Meets Coder – 5 digitale Herzensprojekte und wie sie sich in der Praxis entwickelt haben

Wir haben Kulturschaffende mit interessierten Techies, Developerinnen, Datenvisualisiererinnen, Interfacedesignerinnen, Produktdesignerinnen, UX/UI-Designerinnen & Co – kurz: Designer- und Entwickler*innen zusammengebracht. Gemeinsam sollten die interdisziplinären Teams jeweils eines von fünf digitalen Vorhaben verwirklichen, die Kulturschaffende bei der täglichen Arbeit unterstützen. Das Ergebnis: Eine steile Lernkurve.

5 Ideen, 8 Monate Bearbeitungszeit, max. 10.000 € pro Projekt – unter dieser Prämisse sind wir im Mai 2019 in unsere Initiative ‚Culture Meets Coder‘ gestartet. Ziel war es, beispielhaft und spartenübergreifend zu zeigen, wie Kulturschaffende digitale Werkzeuge in der täglichen Arbeit einsetzen können – ob es nun darum geht, bestehende Prozesse effizienter zu gestalten, neue Publikumsgruppen zu erschließen oder alternative Zugänge zu den angebotenen Inhalten bereitzustellen. Zugleich wollten wir ausloten, welchen Hürden Kulturinstitutionen bei der eigenständigen Umsetzung digitaler Projekte begegnen.

Unser Vorgehen

Auf unseren Aufruf zur Bewerbung im Frühjahr 2019 folgten 28 Einreichungen. Wichtig war es uns, unterschiedliche Sparten und Träger (Kulturhaus, Freie Szene, Bezirksamt, Theater) zum Zug kommen zu lassen. Ebenso vielfältig sollten die zu verhandelnden Problemstellungen sein. Daher fiel unsere Wahl auf fünf Projekte, die ein breites Spektrum an Themen abdeckten. Dazu gehören:

  • Ideen zur digitalen Ergänzung des analogen Vermittlungsprogramms
  • Zielgruppenerschließung durch digitales Marketing und Kommunikation
  • Ticketing und digitale Buchhaltung
  • Storytelling in digitalen Formaten
  • Online-Verfügbarmachung von analogen Services
  • Aneignung digitaler Methoden für den Arbeitsalltag

Im Mai 2019 galt es dann, die ausgewählten Projektideen einem ersten Realitätscheck zu unterziehen. Das Format unserer Wahl war hierzu eine Präsentation auf der re:publica in Berlin. Die Digitalkonferenz zum Web und zur digitalen Gesellschaft lockt seit 2007 jährlich Medienschaffende, Netzaktivisten & NGOs, Kreative und Kulturinstitutionen, Entwickler*innen, Wissenschaftler*innen, sowie Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft an. In diesem Umfeld stellten die Kulturinstitutionen ihre jeweiligen Ausgangsbedingungen und Zielstellungen vor und warben im Gegenzug für einen kritischen Blick auf erste Konzepte und um Impulse zur Umsetzung.

Kontakte sollten hierbei geknüpft und Ideen geschärft werden.

In der Folge starteten unsere fünf Teams in die Projektumsetzung: Von der Angebotseinholung und -vergabe über die eigentliche Konzeption bis hin zur Dokumentation – ein Prozess, bei dem die Technologiestiftung auch weiterhin beratend zur Seite stand.

Dabei entstanden sind fünf höchst unterschiedliche Ergebnisse, die Themen wie Ticketing, Website-Strukturierung oder auch das Storytelling im Online-Spiel umfassen.

Figurentheather Grashüpfer

Kunstverleih Lichtenberg

Kulturhaus Spandau

ATZE Musiktheater

Berliner Ensemble

Was uns ‚Culture meets Coder‘ gelehrt hat

1. Kulturschaffende zeigen sich meist offen gegenüber digitalen Technologien…

Gemessen an der beschränkten Zeit und dem gegebenen Budget haben die fünf beteiligten Institutionen mit ihren Digitalpartner*innen einiges geschafft: Viele haben erste digitale Anwendungen entwickelt und implementiert – einige davon weit elaborierter als die ursprünglich angedachten Prototypen. Auch wenn nicht alle Teilnehmenden dauerhaft nutzbare Anwendungen erarbeiten konnten, haben sie doch neue Methoden – etwa aus dem Feld des Design Thinking –kennengelernt, sich auf neue Vermittlungsmedien eingelassen, kritische Analysen ihrer Kommunikationsmittel wohlwollend aufgenommen oder auch bestehende Arbeitsprozesse mit digitalen Mitteln optimiert.

2. …haben aber nicht immer die methodischen Erfahrungen, um Digitalprojekte anzustoßen oder umzusetzen

Im Verlaufe des Projekts ist deutlich geworden, dass die Kulturschaffenden sich eine intensive Betreuung durch die Technologiestiftung gewünscht und Vorschläge für die Umsetzung ihrer Projekte gerne entgegen genommen haben. Dass unser Angebot jedoch mit einer Intensität in Anspruch genommen wurde, mit der wir nicht gerechnet hätten, macht den hohen Informations- und Beratungsbedarf in Kulturinstitutionen hinsichtlich digitaler Projekte deutlich. Dies betrifft vor allem:

  • Einschätzungvermögen, welche Technologie sich für das eigene Vorhaben eignen könnte
  • Wissen hinsichtlich der effektiven Gestaltung von Angebotsaufforderungen, Leistungsbeschreibungen und Briefings für dezidiert digitale Vorgaben
  • Zeitmanagement und technisches Projektmanagement

Auch gab es Missverständnisse zur Aufgaben- und Rollenverteilung im Digitalprojekt:  Üblicherweise liegt in digitalen Vorhaben nur in den seltensten Fällen gleich zu Projektbeginn eine fertige Liste an benötigten Funktionen vor. Aufgrund ihrer Komplexität sind Digitalprojekte sehr stark auf den intensiven Dialog von Auftraggeber* und Auftragnehmer*in angewiesen. Auch wenn Entwickler*innen und Agenturen die Konzeption und technische Umsetzung übernehmen, ist dennoch eine intensive Mitarbeit der beauftragenden Institution nötig: Content muss erstellt oder kontrolliert und freigegeben werden, Rechte geklärt, Daten korrekt strukturiert und bereitgestellt und Material gegebenenfalls neu digitalisiert werden. Nicht immer war allen ‚Culture meets Coder‘-Institutionen bewusst, wie intensiv dieser Prozess geplant und wie stark personelle Ressourcen hierfür eingebunden werden müssen. Auch gilt es Erwartungshaltungen zwischen den Kulturschaffenden und den Dienstleister*innen zum entstehenden Produkt klar zu formulieren und vor Arbeitsbeginn abzuklären.

3. Der Weg zu passenden Dienstler*innen ist schwierig

Auch für uns selbst brachte ‚Culture meets Coder‘ wichtige Lerneffekte und Impulse: So zeigte sich, dass die re:publica zwar hilfreich war, um erste Ideen weiter zu schärfen, trotz ihrer vielversprechenden Zielgruppe aber nicht der geeignete Ort war, um Entwickler*innen oder Digitalagenturen auf das eigene Projekt aufmerksam zu machen und für eine Angebotsabgabe zu gewinnen. Unter den Anwesenden fand sich niemand, der/die im Nachgang an der Angebotsaufforderung teilgenommen hätte. Da für viele Kulturschaffende gerade die Marktrecherche eine große Hürde bedeutete, haben wir über unsere bzw. uns bekannte Netzwerke (Social Media, Ideation & Prototyping-/CityLAB der Technologiestiftung, OKLab, eigene Projekterfahrungen) mit unterstützt.

Einige offene Fragen werden uns also weiter begleiten: Wie können Kulturinstitutionen als potentielle Auftraggeberinnen besser im Kreis der Entwickler*- und Designer*innen sichtbar werden? Auf welchen Wegen erreichen Ausschreibungen die Dienstleister*innen mit dem richtigen Kompetenzprofil? Und welches Wissen braucht der Kultursektor, um angebotene Leistungen effektiv auf ihre Eignung bewerten zu können?

4. Kein Kompetenzaufbau ohne Mut zum Ausprobieren, Scheitern und Andersmachen

Mit kulturBdigital möchten wir Kulturinstitutionen und Kulturschaffende dazu befähigen, selbst digitale Technologien bewerten, digitale Methoden nutzen und digitale Prozesse in ihrer täglichen Arbeit einsetzen zu können.

‚Culture meets Coder‘ hat uns gezeigt, dass dies auch bedeutet, künftig verstärkt Informationsangebote aus den Bereichen Vergaberecht, Projektvorbereitung und -management anzubieten. Digitales Arbeiten bedeutet für viele Institutionen Neuland. Dass nicht alles gleich geklappt hat und einige Ergebnisse anders ausfielen als erwartet, ist Teil des Prozesses – für uns wie auch für die Teilnehmenden.

Diese Erkenntnisse hat die Senatsverwaltung für Kultur und Europa für die künftige Förderrichtlinie für den Fonds zur digitalen Entwicklung im Kulturbereich aufgegriffen, berücksichtigt daher auch Experimentierstrukturen und richtet das Augenmerk auf den Erkenntnishorizont eines Vorhabens:

  • Selbstbefähigung der Kulturschaffenden als maßgebliches Ziel der Förderung
  • Beispielhaftigkeit und möglichst Skalierbarkeit von Projekten, z.B. durch übertragbare technische Lösungen, Open Source, offene Schnittstellen und intensive Dokumentation
  • Scheitern muss möglich sein
  • Wartung, Hosting, Weiterentwicklung muss für ausgereifte technische Lösungen mitbedacht werden
  • Zuwendungsempfänger*innen: ermöglichen, dass auch Einrichtungen der unmittelbaren Landesverwaltung sich bewerben. Sie bekommen keine Fördermittel sondern zweckgebundene Mittel zur eigenständigen Bewirtschaftung übertragen

Text von: Annette Kleffel und Silvia Faulstich

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Titelbild: „Geschäft“, Foto erstellt von freepik – de.freepik.com